Wilder Westen auf Ostschweizer Strassen

Einer der jüngsten Vorfälle: Ein Mann landete nach der Flucht vor der Polizeikontrolle auf dem Bahntrassee.
© Kapo TG
Angetrunken, ohne Führerausweis oder Nummernschild unterwegs oder gar auf der Flucht vor der Polizei: Reihenweise solcher Vorfälle gab und gibt es in den vergangenen Tagen und Wochen. Weshalb es auf den Ostschweizer Strassen gerade ziemlich wüst zu und her geht.

Hier die Geschichte zum Bild oben: Ein 22-Jähriger war am vergangenen Wochenende auf dem Weg nach Eschlikon im Thurgau. Ein Nummernschild an seinem Auto hielt er dafür nicht für nötig – das fiel auch einer Polizeipatrouille auf. Doch der junge Schweizer dachte nicht daran, sich von den Polizisten kontrollieren zu lassen, als diese ihn mittels Signal dazu aufforderten. Stattdessen setzte der Mann auf die Karte Flucht – und zwar mit Höchsttempo.

Kein «Scheck», kein Kontrollschild und fahrunfähig

Wenig überraschend keine gute Idee: Bei einer Verzweigung verlor der Fahrer die Kontrolle über sein Gefährt, rutschte via ein Wiesenbord in Richtung Bahngleis und blieb schliesslich auf dem Trassee stehen. Bei der anschliessenden Einvernahme stellte sich heraus: Der 22-Jährige war nicht nur ohne Kontrollschild unterwegs, er besass auch keinen «Scheck», weil er diesen bereits früher abgeben musste. Und obendrauf – als Kirsche auf der Torte quasi – stellten die Polizeibeamten fest, dass der junge Mann fahrunfähig unterwegs war.

Es ist nur der jüngste Fall einer ganzen Serie von vergleichbaren Meldungen in den vergangenen Tagen und Wochen:

Wer sich die Schlagzeilen und Polizeimeldungen der jüngeren Vergangenheit zu Gemüte führt, fragt sich aufgrund der Häufigkeit und Vergleichbarkeit der Vorkommnisse unweigerlich: Was ist eigentlich los auf den Strassen im FM1-Land?

Blaufahren: Weihnachtsessen und -märkte fördern Versuchung

Einige Erklärungsansätze für die zahlreichen Vorfälle liefert Michael Roth, Mediensprecher bei der Kantonspolizei Thurgau: «Wir registrieren solche Vorfälle nicht in einer Regelmässigkeit und mit konstanten Zahlen. Dies kann von mehreren Faktoren beeinflusst werden und ist teilweise auch dem Zufall geschuldet.»

Da zur aktuellen Jahreszeit viele Weihnachtsanlässe wie Geschäftsessen oder Märkte stattfinden, an welchen Alkohol konsumiert wird, ist auch wahrscheinlich, dass sich einige Personen in fahrunfähigem Zustand hinters Steuer setzen. «Wir machen präventiv durch Medienmeldungen und Social-Media-Beiträgen darauf aufmerksam. Ergänzend finden gezielte Kontrollen im Strassenverkehr statt», so Roth.

Vergleichbar ist die Situation im Kanton St.Gallen, wie Florian Schneider, Mediensprecher der Kantonspolizei, erklärt – insbesondere bezüglich Alkoholkonsum: «Es ist aktuell kalt draussen, man kommt nach einer durchzechten Nacht nicht so angenehm nach Hause wie im Sommer. Da ist es natürlich eine verlockende Idee, trotz Alkoholkonsum noch ins Fahrzeug zu steigen, um heimzukommen.» Auch deshalb erhöht die St.Galler Kantonspolizei – genauso wie ihr Thurgauer Pendant – zurzeit die Anzahl Kontrollen auf der Strasse: Ein weiterer Faktor, weshalb es mehr Vorfälle gibt, die registriert werden.

Kombination mit anderen Vergehen wohl eher zufällig

Doch es ja nun nicht so, dass Fahren unter Alkoholeinfluss das einzige Vergehen der fehlbaren Autopiloten ist. Auffallend ist insbesondere, dass mehrere strafbare Aktionen miteinander festgestellt werden. So kommt zur Fahrunfähigkeit beispielsweise noch das Fahren ohne Kontrollschild oder Billett, Fahrerflucht nach Selbstunfällen oder gar die versuchte Flucht vor der Polizei. Florian Schneider, der Mediensprecher der Kantonspolizei St.Gallen, kann nicht erklären, weshalb sich die genannten Kombinationen häufen – er geht von einer eher zufälligen Entwicklung aktuell aus.

Doch der Alkoholkonsum spiele auch hier eine Rolle: Dieser senkt bekanntlich die rationale Entscheidungsfähigkeit. «Und bei manchen setzt diese selbst dann noch nicht ein, wenn sie vor einer Polizeikontrolle stehen. Was dann verhindert, dass sich die Leute einsichtig zeigen und realisieren, dass sie nun am besten einfach eingestehen, einen ‹Seich› gemacht zu haben», führt Schneider aus.

Dann kann es eben auch mal dazu kommen, dass jemand versucht, zu fliehen – und am Ende auf dem Bahntrassee landet.

«Setzen auf so viele Patrouillen wie möglich»

Die Kantonspolizeien versuchen, die Anzahl solcher Vorkommnisse mittels Prävention einzudämmen: «Es hilft natürlich, darüber zu berichten und den Leuten vor Augen zu führen, was eine solche Handlung für Konsequenzen haben kann», so Florian Schneider. Gleichzeitig soll auch der «Kontrolldruck auf der Strasse» hoch sein. «Wir setzen so viele Patrouillen wie möglich ein, um solche Vorfälle zu verringern», sagt Schneider.

Trotz aller Bemühungen und Kontrollen ist es illusorisch zu glauben, dass man Blaufahrten und Schlimmeres komplett verhindern kann. Das Fahren in fahrunfähigem Zustand ist bei verschiedenen Gesellschaftsschichten und Altersklassen feststellbar.

Ironischerweise muss die zu Beginn des Textes stehende Liste – noch während dieser Artikel verfasst wurde – um einen weiteren Vorfall ergänzt werden: Die Kantonspolizei Thurgau vermeldet, dass ein 17-Jähriger in Egnach ein Auto geklaut hat, vor der Kontrolle geflüchtet und schliesslich verunfallt ist. Hier gibt es weitere Informationen dazu.

veröffentlicht: 16. Dezember 2023 06:16
aktualisiert: 16. Dezember 2023 06:22
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