Ade, «Soirée»: Altstätter Kult-Wirte hören auf

Nach 17 Jahren ist Schluss: Serjoscha Graber und Philipp Kolb übergeben ihr geliebtes Lokal, das «Soirée», in neue Hände. Es ist das Ende einer Altstätter Ära voller Tanz, Tabubrüchen und tollen Fasnachts-Dekos.

In Altstätten geht eine Ära zu Ende. Die beiden Kult-Beizer Serjoscha «Joschi» Graber (38) und Philipp Kolb (42) übergeben das «Soirée» nach fast 17 Jahren in neue Hände. «Es war kein leichter Entscheid», sagt Graber sichtlich gerührt. «Ich habe einen grossen Teil meines Lebens hier verbracht und wir beide spüren nach wie vor eine starke Bindung zu der Bar.»

Erfahrener Beizer übernimmt

Zurzeit häng ein «Closed»-Schild an der leicht vergilbten Türe des «Soirée». Im Inneren strahlt alles wie eh und je, auch die beiden Rheintaler Wirte, die es sich auf den schwarzen Barhockern gemütlich gemacht haben. Obwohl das «Soirée» wegen Corona gerade geschlossen hat, ist weder die Pandemie noch das Ausbleiben der Gäste der Grund für diesen Schritt. «Wir haben schon länger gespürt, dass es an der Zeit ist. Wir mussten nur auf den passenden Nachfolger warten», sagt Graber. Diesen habe man in Bruno Wettstein gefunden, der zurzeit noch das Kreuz in Altstätten führt und somit viel Erfahrung mitbringt.

Die Übergabe falle schwer, sei gleichzeitig aber auch eine Erleichterung. «Es ist und war schon immer anspruchsvoll, Bar und 100-Prozent-Job unter einen Hut zu kriegen», erklärt Philipp Kolb, der als Journalist in Liechtenstein tätig ist. Auch Serjoscha Graber arbeitet mittlerweile voll als Elektro-Monteur und ist viel im Ausland unterwegs. «Der Aufwand wurde einfach zu gross. Ausserdem sind wir älter und ruhiger geworden – auch das merkt man», sagt Kolb und lacht.

Fasnacht, Konzerte und die grosse Liebe

Auch die «Soirée-Bar» selber hat sich im Laufe der Jahre verändert – sie musste mit der Zeit gehen. «Die Gäste sind heute anspruchsvoller als früher, man muss ihnen mehr bieten können», sagt Kolb. So fanden im «Soirée» plötzlich Live-Konzerte statt und auch punkto Getränkeangebot gabs immer wieder Anpassungen. Ein Highlight war jedes Jahr die Fasnacht. Anders als andere Altstätter Lokale lockte das «Soirée» stets mit einer extrem aufwendigen Deko. «Unser Ziel war es, die Bar selber nicht mehr zu erkennen. Unser Team hat manchmal tagelang dekoriert und Unglaubliches geleistet», sagt Joschi.

Schliesslich waren es aber die vielen Begegnungen, die das «Soirée» zu einem einzigartigen Ort machten. «Ich habe viele Freundschaften geschlossen und hier sogar meinen Mann kennengelernt», schwärmt Joschi. «Das Soirée wurde zur Stammbeiz von ganzen Gruppen. Viele Menschen haben hier ihre Jugend verbracht und manchmal auch ihre grosse Liebe gefunden», bestätigt Philipp Kolb. «Heute haben einige von ihnen sogar schon Kinder», fügt Joschi hinzu und lacht.

Kein einfacher Start

Es gab auch Zeiten, in denen Serjoscha Graber und Philipp Kolb, die selbst lange Zeit ein Paar waren, mehr zu beissen hatten. Mit der Übernahme der «Soirée-Bar» im November 2004 erfüllten sich die beiden zwar einen Bubentraum, hatten jedoch keinerlei Erfahrung in der Gastronomie. «Der Anfang war richtig hart», sagt Phlipp Kolb. «Wir mussten durchhalten und einiges dazulernen.»

Auch sei das «Soirée» zu Beginn oft als Schwulenbar abgestempelt worden. Dies komme sogar heute noch vor, wenn auch selten. «Zu Beginn haben zum Beispiel einige Fussballer aus Vereinen der Region einen Bogen um die Bar gemacht. Irgendwann änderte sich das und oft waren dann am Wochenende Spieler aus drei verschiedenen Fussballclubs bei uns im Ausgang», sagt Kolb. Die positiven Erlebnisse überwiegten also. «Wir erlebten hier viele emotionale Momente», sagt Serjoscha Graber. «Einige junge Männer trauten sich bei uns zum ersten Mal, sich zu outen und sind dabei sogar in Tränen ausgebrochen.» Dieser soziale Aspekt lag beiden Rheintaler Wirten sehr am Herzen.

Grosse «Ustrinkete» im Frühling

So wurde das «Soirée» zu einer Bar, in der jeder willkommen ist, bei deren Wirten man sich aufgehoben fühlte und welche die Gesellschaft näher zusammenrücken liess. Und wie sieht die Zukunft aus? «Die Schlüsselübergabe ist nächsten September», sagt Philipp Kolb. Im Frühling finde dann – sofern Corona das zulässt – eine grosse «Ustrinkete» statt, im Sommer bleibe das Lokal vorübergehend zu.

Der Name «Soirée» bleibt auch in Zukunft bestehen – ist zu hoffen, dass es das Flair auch tut. «So richtig kann ich es noch gar nicht glauben», sagt Joschi zum Schluss und schüttelt den Kopf. «Die Bar ist doch mein Baby.» Doch jedes Kind muss man irgendwann loslassen. Für Philipp Kolb steht fest: «Wir werden nachher sicher als Gäste in der Bar anzutreffen sein – sie wird immer ein Teil von uns bleiben.»

veröffentlicht: 14. Dezember 2020 16:28
aktualisiert: 14. Dezember 2020 16:28
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