Behinderte haben nicht immer ungehinderten Zugang zu Festivals
Eigentlich wäre der Gesetzesartikel klar: Menschen mit Behinderungen sollen selbstbestimmt und ohne gesellschaftliche Barrieren an allen Lebensbereichen teilnehmen können. Daran halten müssen sich auch private Anbieter von öffentlichen Dienstleistungen wie Festivals oder Open-Air-Konzerte mit ihren provisorischen Anlagen.
Doch am vergangenen Wochenende sorgten in der Westschweiz Bilder von rund 15 Menschen im Rollstuhl vor dem Eingang des Sittener Festivals «Sous les étoiles» für Aufregung. Ihnen wurde der Eintritt trotz gültigem Ticket verwehrt, weil sie keinen Platz auf der Spezial-Tribüne reserviert hatten.
Eintrittsverbot mit Sicherheit gerechtfertigt
Der Veranstalter rechtfertigte das Eintrittsverbot mit Sicherheitsaspekten. Denn im Fall einer Massenpanik könnten die Rollstühle nicht nur für die Behinderten, sondern auch für die anderen Besucherinnen und Besucher gefährlich werden.
Diese Argumentation habe sie schon oft gehört, sagt Claire-Valérie Ginier von der Fachstelle Hindernisfreie Architektur. Doch rechtlich sei sie nicht begründet. Stattdessen müssten sich die Organisatoren ausdenken, wie sie das Gelände gestalteten, damit Behinderte nicht diskriminiert würden.
Beim Dachverband der Behindertenorganisationen Inclusion Handicap ging deswegen schon «die ein oder andere Klage» ein, wie Mediensprecher Marc Moser bestätigte. Das Problem sei, dass das Bundesgericht eine sehr enge Interpretation von Diskriminierung anwende und eine böse Absicht zur Bedingung mache. Es stütze deshalb auch die Argumentation aus Sitten mit den Sicherheitsbedenken.
Behinderte sind schwach geschützt
Grundsätzlich seien Behinderte in diesen Fällen rechtlich schwach geschützt. Die Betroffenen könnten zwar vor Gericht ziehen. Aber sogar wenn eine Diskriminierung festgestellt werde, gebe es keine Pflicht zum Handeln, sondern lediglich eine Busse.
Deshalb setzen sich die Behindertenorganisationen seit einigen Jahren für eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Veranstaltern ein. Als «Paradebeispiele» werden immer wieder das Paléo- und das Gurtenfestival bezeichnet.
Auf dem Gurten zum Beispiel kümmert sich die Stiftung Cerebral um die Infrastruktur für Menschen mit einer Gehbehinderung. Auf dem Gelände wurden unter anderem zwei rollstuhlgängige Badezimmer mit Duschen aufgebaut, teilte Cerebral auf Anfrage mit.
Zwei Rollstuhltribünen erleichtern die Sicht auf die Konzerte. Menschen mit Behinderung können diese aber auch von anderen Standorten verfolgen, sofern es das hügelige Gelände erlaubt. Um die Fortbewegung zu erleichtern, werden vier geländegängige Rollstühle zur Verfügung gestellt; Und eine private Firma bietet während des Festivals die Betreuung der Behinderten an.
Zugang zu Gurtenbahn sei gewährleistet
Auch der Zugang mit der Gurtenbahn sei gewährleistet. Ausserdem fliessen in diesem Jahr Spenden aus den Becher- und Geschirrdepots an die Beschaffung eines geländegängigen Rollstuhls. Neben dem Gurten begleitet Cerebral das Festival in Frauenfeld, das Summerdays-Festival in Arbon TG, das Seaside in Spiez BE oder die Winterthurer Musikfestwochen.
Auch das Paléo-Festival in Nyon VD sorgt sich vorbildhaft um Menschen mit Behinderung. Es stellt ihnen zum einen Plattformen vor den Bühnen zur Verfügung. «Sie können sie benutzen, müssen das aber nicht», sagt Festivalsprecherin Michèle Müller.
Aber auch mit anderen Massnahmen erleichtert das Festival den Behinderten das Leben: So gibt es Parkplätze in der Nähe des Haupteinganges, zwei asphaltierte Wege durch das Gelände, behindertengerechte sanitäre Anlagen und eine Ruhezone. Wer eine behinderte Person ans Festival begleitet, muss keinen Eintritt bezahlen.
Pro Infirmis fördert mit dem Label «Kultur inklusiv» den hindernisfreien Zugang zu Kulturangeboten in der Schweiz. Als Festivals wurden bisher das Zürcher Theater Spektakel und die Thunerseespiele ausgezeichnet. Mit den Veranstaltern der grösseren Schweizer Festivals seien im Herbst Gespräche geplant.