«Ich bin kein Adrenalinjunkie, sondern fasziniert vom Fliegen»

Quelle: FM1Today/Patrick Ettlin

Sein Leben ist das Fliegen: Marcel Geser, 40-jähriger Gleitschirmpilot und Basejumper, erzählt von seinen Emotionen beim Absprung am Felsen, seinem verstorbenen Freund und darüber, wie seine Familie und Angehörigen mit seinem Hobby umgehen.

«Viele denken, dass Basejumper lebensmüde sind oder Todessehnsucht haben, aber keiner, den ich kenne, hat das. Es sind Menschen, die unglaublich gerne leben, aber den Wunsch haben, intensiv zu leben» – Marcel Geser, 40-jähriger Basejumper lebt gerne. Und intensiv.

«Ich bin Basejumper, weil ich extrem fasziniert bin vom Fliegen.» Nicht vom Fliegen mit einem Flugzeug, sondern vom Fliegen mit dem eigenen Körper: «Mein Vater und mein Bruder sind Piloten. Ich durfte schon als Kind im Cockpit mitfliegen, fand aber, es hatte unglaublich viele Knöpfe und als Pilot hat man eine grosse Verantwortung.» So wurde der gebürtige Ostschweizer nicht Pilot, sondern arbeitete für das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten als Übersetzer in Bern. Zum Fliegen brachte ihn schliesslich sein Bruder: «Er schenkte mir zum 28. Geburtstag einen Gleitschirm-Schnupperkurs im Appenzell.»

Marcel Geser hat bereits 800 Basejumps gemacht.

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«Ich hatte keine Angst, weil ich gut vorbereitet war»

Er sei der erste gewesen, der abheben musste, erzählt er im aktuellen Gott und d'Welt-Podcast. «Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. In dem Moment als ich abhob und mir der Wind ins Gesicht schlug, wusste ich, das will ich machen.» Während eines Aufenthalts in Palästina, wo Marcel Geser als Menschenrechtsbeobachter arbeitete, nutze er jede freie Minute, um in Israel zu fliegen. «Die Leidenschaft wurde immer grösser und schliesslich sass ich im Büro in Bern, schaute nach draussen und wollte eigentlich lieber dort sein.» Er kündigte seinen Job und wurde Gleitschirmpilot.

Während der Arbeit in Bern sah er auf Youtube ein Video eines Basejumpers und war davon so fasziniert, dass er davon träumte auf einen Berg zu laufen und einfach herunterzuspringen: «Der Gedanke liess mich nicht mehr los, ich kaufte mir eine Ausrüstung und begann mit Fallschirmspringen.» Nach zahlreichen Fallschirmsprüngen wagte er sich in Italien das erste Mal mit einem Tracking-Suit von einem überhängenden Felsen: «Ich war nervös, aber hatte keine Angst, weil ich so gut vorbereitet war und dachte nur ‹Wow›. Beim Basejumpen gibt es nur den Moment, keine Vergangenheit, keine Zukunft nur den Moment.» Gerade in Zeiten von Social Media und Stress bei der Arbeit oder im Privatleben sei es wunderschön, am Felsen an nichts anderes denken zu müssen.

«Wie egoistisch darf man im Leben sein?»

«Vor meiner Familie versuchte ich es zuerst geheim zu halten», gesteht Marcel Geser, der mittlerweile sei acht Jahren Basejumper ist. «Dann habe ich ihnen aber erklärt, warum ich das mache und dass ich mein bestes tun werde, um nicht zu sterben.» Die Eltern hätten Verständnis gezeigt, seine Freundin sei kein grosser Fan seines Hobbys. «Die Frage ist: Wie egoistisch darf man im Leben sein? Natürlich ist es für die Familie eine Zumutung und wenn jemand stirbt, bleibt der Schmerz der Angehörigen, aber auf der anderen Seite, ist es etwas, das mich unglaublich glücklich macht und für mich das Risiko wert ist.»

Angst vor dem Sterben oder Suizidgedanken hat Marcel Geser beim Basejumpen nicht: «Ich versuche immer intelligente Entscheidungen zu treffen und bereite mich sehr gut auf jeden Sprung vor. Ich hatte noch nie Nahtoderfahrungen.» Eigentlich sei er ein sehr vorsichtiger und ängstlicher Mensch: «Ich bin kein Adrenalin-Junkie und fliege nicht, weil ich mutig bin, sondern weil ich vom Fliegen und der Natur fasziniert bin.»

«Der ganze Körper schreit ‹Nein›»

Ein enger Freund von Marcel Geser sei beim Basejumpen gestorben. Er habe das Hobby aber sehr intensiv ausgelebt und in seinem ersten Jahr als Basejumper 500 Sprünge gemacht. «Irgendwann hat er den Bezug zur Realität verloren, ging zu viele Risiken ein. Es ist traurig, was passiert ist, war für mich aber keine grosse Überraschung.» Er habe den Respekt vor dem Basejumpen verloren. «99 Prozent der tödlichen Basejump-Unfälle sind selbstverschuldet und das sage nicht ich, jeder Todesfall wird analysiert und dokumentiert», sagt Geser der zugleich Präsident der Swiss Base Association ist. «Häufig überschätzen sich die Leute.»

Schlussendlich sei das Fliegen für ihn eine Form der Angstbekämpfung: «Niemand steht gerne am Abgrund und schaut herunter, der ganze Körper schreit ‹Nein›. Man hat Angst, herunterzufallen und zu sterben. Das ist ein Urinstinkt. Beim Basejumpen lernt man, mit der Angst umzugehen und sie zu überwinden.»

Ob er selbst schon in eine lebensgefährliche Situation kam und mehr über sein aussergewöhnliches Hobby verrät Marcel Geser im «Gott und d'Welt» Podcast.

Lara Abderhalden und Ines Schaberger
veröffentlicht: 30. September 2020 17:59
aktualisiert: 2. Oktober 2020 05:26
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