Ostschweiz
St. Gallen

St.Galler Spitalchefs äussern sich erstmals zu den Details der Massenentlassung

«Massenentlassung ist abgeschlossen» – jetzt äussern sich erstmals die St.Galler Spitalchefs

An mehreren Demonstrationen wurde gegen den Stellenabbau bei den St.Galler Spitälern protestiert.
© KEYSTONE/GIAN EHRENZELLER
117 Kündigungen sprachen die St.Galler Spitalverbunde aus – weniger als erwartet, aber dennoch eine grosse Zahl. Die CEOs der beiden grössten Ostschweizer Spitäler nehmen nun erstmals Stellung zur Massenentlassung und den drängendsten Fragen dazu.

Die Zahl geisterte seit Ende September umher: 440 Stellen werden an den St.Galler Spitälern aus Spargründen gestrichen. Lange hielten sich die Verantwortlichen bei den Spitälern aber bedeckt und für die Öffentlichkeit blieb unklar, wie viele Menschen tatsächlich ihren Job verlieren, wie viele Kündigungen ausgesprochen werden – bis heute. Die Spitalverbunde des Kantons St.Gallen haben am Freitag die genauen Zahlen des Sparprogramms bekannt gegeben.

FM1Today hat die CEOs der beiden grössten St.Galler Spitäler, dem Kantonsspital in St.Gallen und dem Spital Rheintal Werdenberg Sarganserland, bei denen auch die meisten Stellen wegfallen, mit den drängendsten Fragen konfrontiert – im Gespräch mit FM1Today nehmen sie Stellung dazu.

Wie viele Menschen verlieren ihren Job?

Insgesamt wurden 117 Kündigungen ausgesprochen, diese entsprechen 81 der 440 Vollzeitstellen. 89 Kündigungen entfallen auf das Kantonsspital St.Gallen (KSSG), 21 auf das Spital Rheintal Werdenberg Sarganserland (SR RWS) und 7 auf das Spital Linth. In der Spitalregion Fürstenland Toggenburg konnte der Stellenabbau ohne Kündigungen umgesetzt werden. Die restlichen 359 Stellen werden laut der Mitteilung der Spitalverbunde über «natürliche Fluktuation» gestrichen – damit gemeint sind beispielsweise Frühpensionierungen, die Nicht-Neubesetzung von Stellen von Mitarbeitenden, die von sich aus gekündigt haben oder die im Zuge von Umstrukturierungen frei wurden sowie Pensenreduktionen von Mitarbeitenden.

Eine ausführliche Darstellung der nackten Zahlen gibt es hier.

Wie wurden die Mitarbeitenden und Stellen, die gestrichen werden, selektiert und welche sind betroffen?

Die Kündigungen erstrecken sich laut der Mitteilung der Spitalverbunde auf sämtliche Berufsgruppen. Am meisten, deren 66, entfallen auf die Administration und die Supportbereiche, also hauptsächlich Bürojobs. Im Pflegebereich wurden 37 Kündigungen ausgesprochen, hinzu kommen 14 Ärztinnen und Ärzte, die ebenfalls gehen müssen.

Im Kantonsspital St.Gallen haben die einzelnen Abteilungen ein Lohnbudget für das kommende Jahr erhalten, welches in einigen Fällen tiefer ist, als es bisher war. Die Leitung der jeweiligen Abteilungen hatte in der Folge die unschöne Aufgabe, einen Weg zu finden, dieses Budget einzuhalten – durch natürliche Fluktuation, die Nicht-Neubesetzung von Stellen oder in einigen Fällen eben auch durch Kündigungen. «Es gab keine Alters- oder Dienstjahresvorgaben», betont Stefan Lichtensteiger.

In Altstätten betrifft ein beträchtlicher Teil der Kündigungen den operativen stationären Bereich, welcher reduziert wird, und in Grabs wird vorwiegend im Administrationsbereich gespart, wie Jochen Steinbrenner erklärt.

Wieso wird gleichzeitig Personal gesucht und entlassen?

Im Pflegebereich wurde 37 Personen gekündigt. Ein Blick in das Stellenportal des KSSG zeigt, dass derzeit gleichzeitig 35 Pflegefachpersonen gesucht werden. Warum konnten die von der Entlassung Betroffenen nicht intern weiterbeschäftigt werden?

Philipp Lutz, Medienbeauftragter des Kantonsspitals St.Gallen kann die Frage verstehen. Er weist auf Anfrage von FM1Today darauf hin, dass der Pflegeberuf sehr spezialisiert sei. «Es wäre zum Beispiel schwierig, einer Pflegefachperson aus der Onkologie eine Stelle im OPS oder umgekehrt anzubieten», sagt er. Man könne deshalb auch nicht so ohne Weiteres von einer Klinik zur anderen wechseln. Und: «Es kann natürlich auch sein, dass man zwar eine Alternative anbieten konnte, diese aber für die betroffene Mitarbeiterin/den betroffenen Mitarbeiter selbst nicht in Frage kam.»

Die 37 Kündigungen erwähnten Kündigungen von Mitarbeitenden in der Pflege – umgerechnet total 21 PE/Vollzeitstellen – bezögen sich auf alle vier Spitalverbunde, so Lutz weiter. Am KSSG seien in der «patientennahen Pflege» 29 Kündigungen ausgesprochen worden, was 16 Vollzeitstellen entspreche. Ihm sei klar, dass hinter jeder Kündigung ein Mensch stehe und nicht einfach eine Zahl. Aber: «Trotzdem muss man diese Anzahl von 16 Stellen auch im Verhältnis zu den aktuell insgesamt 1417 Vollzeitstellen in der patientennahen Pflege am KSSG sehen.»

Wie sieht der Sozialplan aus?

Mitarbeitende, die ihren Job durch eine Kündigung verlieren, haben Anspruch auf Leistungen aus dem Sozialplan, welcher vom Kanton vorgegeben ist. Die Betroffenen haben Anrecht auf individuelle anteilsmässige Lohnfortzahlungen während zwei Jahren. Jene mit Kindern erhalten den vollen Lohn. Zusätzlich bekommen die Mitarbeitenden eine Abfindung von einem Monatslohn und werden durch Beratungen und andere Angebote unterstützt, die helfen sollen, eine neue Stelle zu finden.

«Aus unserer Sicht ist es ein sehr grosszügiger Rahmenmassnahmenplan. Aber natürlich kann dieser das Einzelschicksal durch einen Jobverlust nicht schmälern oder relativieren», schätzt Stefan Lichtensteiger den Sozialplan ein.

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Sind in Zukunft weitere Entlassungen möglich?

«Das Thema Massenentlassungen ist abgeschlossen», sagt Stefan Lichtensteiger deutlich. Das «Ende der Fahnstange» sei jedoch nicht erreicht. Es brauche weitere Massnahmen, damit die Spitäler finanziell nachhaltig gesunden können. «Wir haben unseren unliebsamen Teil mit der Anpassung unseres Personalbestands erfüllt. Jetzt sind wir auch auf die Unterstützung der Politik angewiesen.» Es brauche insbesondere fairere und damit höhere Tarife für die St.Galler Spitäler, damit sie nachhaltig finanziell aufgestellt sind, wie sowohl Lichtensteiger als auch Steinbrenner betonen.

Führt der Stellenabbau zu einem Qualitätsverlust für die Patientinnen und Patienten?

Nicht, wenn es nach den Spitalchefs geht: «Das ist nicht der Fall», sagt Stefan Lichtensteiger auf die entsprechende Frage. «Mit den strukturellen Massnahmen schaffen wir es, unsere Bettenauslastung besser zu steuern.» Es gehe darum, betriebswirtschaftlicher zu arbeiten. «Effizienter zu arbeiten, heisst, mit der gleichen Anzahl oder weniger Leuten, gleich viele oder mehr Leistungen erbringen zu können.» Mit einem Leistungsabbau habe die Stellenreduktion folglich nichts zu tun.

Ähnlich sieht es sein Rheintaler Amtskollege, Jochen Steinbrenner. «Einen Leistungsabbau am Patienten kann und darf es nicht geben.» Man müsse aber differenzieren: Es komme im Zuge der Restrukturierung unweigerlich zu «Umfanganpassungen». So wird beispielsweise am Standort Altstätten der operative stationäre Bereich reduziert. Einfach formuliert, könnte man also sagen: Es wird teilweise weniger Leistungen geben, diese sollen aber nicht qualitativ schlechter sein.

Die Effizienz-Argumentation stösst bei der Ostschweizer Sektion des Berufsverbands Pflege SBK auf grosses Unverständnis. In einer Medienmitteilung heisst es dazu: «Die Nichtbesetzung der Stellen durch natürliche Fluktuationen oder die Streichung noch offener Stellen führt unweigerlich zu einem Qualitätsabbau.»

Die Kompensation der nicht mehr vorhandenen Arbeitskräfte durch mehr Effizienz hält der Pflege-Berufsverband zudem für eine Mär: Man könne in der Pflege nicht «intelligenter», sprich effizienter arbeiten, solange längst überfällige Instrumente wie beispielsweise ein einheitliches elektronisches Patientendossier fehlten. «Es ist unverständlich, dass der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung nicht die notwendige Zeit gelassen hat, um eine nachhaltige Finanzierung der St.Galler Spitäler anzugehen», heisst es weiter.

Wird die Arbeit für die verbliebenen Mitarbeitenden nun noch stressiger, weil sie mehr Aufgaben übernehmen müssen?

Die Furcht vor schlechteren Arbeitsbedingungen und mehr Stress ist beim Pflege-Berufsverband nach wie vor gross:

St.Gallen-CEO Stefan Lichtensteiger betont, dass man den Stellenabbau ins Verhältnis zur Gesamtstellenzahl setzen müsse. So sei der Abbau in St.Gallen, wo es 3900 Stellen gebe, mit der Reduktion um 190 dieser, nicht «übermässig hoch». Aber man dürfe sich nichts vormachen. Im Mehrschichtbetrieb und im 24-Stunden-Betrieb zu arbeiten, sei schlicht streng, das müsse man so oder so anerkennen. Mittels besserer Strukturen und effizienterer Prozesse wolle man der erhöhten Belastung entgegenwirken.

Jochen Steinbrenner betont, dass dem Personal Sorge getragen werden muss, egal wie die Rahmenbedingungen aussehen. «Die Mitarbeitenden sind unser wichtigstes Gut. Sie dürfen nicht überfordert sein, damit sie ihre Arbeit weiterhin in höchster Qualität erbringen können – und das tun sie auch.» Aber man dürfe sich nichts vormachen: Im Gesundheitswesen gebe es aufgrund der finanziellen Schieflage ohnehin eine «Tendenz zur Verdichtung», wie Steinbrenner sagt.

Um also auf die Antwort zur eingangs gestellten Frage zurückzukommen: Eine Mehrbelastung lässt sich trotz aller Massnahmen kaum verhindern.

veröffentlicht: 24. November 2023 15:23
aktualisiert: 24. November 2023 19:02
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