«Kein Opfer ist schuld»: Wenn Weihnachten von häuslicher Gewalt geprägt ist

Der Christbaum ist aufgestellt, die Weihnachtsbeleuchtung hängt, die Familie kommt zusammen – während den Weihnachtstagen scheint das Leben für viele Menschen leicht. Doch falsche Erwartungen oder Alkoholkonsum können diese Stimmung schnell verderben.

Wenn für viele Menschen die schönste Zeit des Jahres beginnt, da sie wieder einmal ihre Liebsten treffen, können genau diese Tage für andere zum Horror-Szenario werden.

Auch wenn die St.Galler Kantonspolizei in den vergangenen Jahren keine tendenzielle Zunahme der Interventionen im häuslichen Bereich über die Weihnachtstage festgestellt hat, werden polizeiliche Interventionen im häuslichen Bereich immer mehr.

«Mittlerweile bewältigt die Polizei im Kanton St.Gallen pro Tag vier diesbezügliche Einsätze», sagt Hanspeter Krüsi, Leiter Kommunikation bei der St.Galler Kantonspolizei.

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Mehr Streit im Herbst?

Doch wieso arten gewisse Familienfeste derart aus, dass die Polizei einschreiten muss? «Familienstreitigkeiten über die Festtage werden oftmals durch falsche Erwartungen oder Enttäuschungen betreffend harmonischer Familienverhältnisse ausgelöst. Alkoholkonsum trägt ebenfalls dazu bei», weiss Krüsi.

Allgemein seien aber eher die Herbstmonate mit familiären und partnerschaftlichen Auseinandersetzungen belastet.

Wenn eine akute Gefährdung zu befürchten ist, soll unverzüglich die Polizei alarmiert werden. «Bei niederschwelligen Auseinandersetzungen hilft die Polizei gerne weiter und vermittelt an Beratungsstellen», so Krüsi.

Druck und Spannungen

Angela Brucher, Chefärztin und Direktorin Medizin und Psychologie der Psychiatrie St.Gallen, sagt: «Weihnachten ist eine emotional aufgeladene Zeit. Die Erwartungen, es schön, besinnlich und ruhig zu haben und gleichzeitig im Kreis seiner Liebsten zu sein, ist hoch.» Dadurch entstehe Druck und Spannungen würden steigen.

Die Leute haben frei und verbringen mehr Zeit miteinander: «Wenn man es eh schon nicht gut hat miteinander, eskaliert Streit schnell», sagt Brucher. Die Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität könne negative Gefühle, die auch sonst da sind, verstärken. Brucher nennt Einsamkeit, Trauer nach Verlust, innere Leere oder Hoffnungslosigkeit als Beispiele.

«Gewalttäterinnen und Gewalttäter durchlaufen oft einen Kreislauf», sagt Brucher. Nach der Gewalttat hätten sie ein schlechtes Gewissen, entschuldigen sich und seien extra lieb. «Gleichzeitig vermitteln sie, dass das Opfer durch sein Verhalten irgendwie Mitschuld trägt und die Tat provoziert hat.»

Mit jeder Gewalttat sinke die Schwelle für weitere Gewalttaten – daher soll man Gewalt niemals zulassen. «Es ist nicht in Ordnung und man trägt selbst keine Verantwortung. Egal was man sagt oder tut – das Gegenüber hat kein Recht, zuzuschlagen», zeigt Brucher auf. Daher soll man sich immer Hilfe holen, sich nicht aus falscher Scham zurückziehen und auf jeden Fall Kinder schützen.

Im Notfall soll man sich ins Spital oder ins Frauenhaus begeben. Auch könne man sich jederzeit bei der Opferhilfe melden.

«Wenn man selbst die Person ist, die zuschlägt, weil man sich nicht im Griff hat, gibt es ebenso Anlaufstellen – beispielsweise das Mannebüro in Zürich.»

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veröffentlicht: 22. Dezember 2023 05:58
aktualisiert: 22. Dezember 2023 05:58
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