Ich habe mein Handy im St.Galler Autobahntunnel verloren und das ist passiert

Christoph Thurnherr hat sein Handy verloren – und über Umwege wiedergefunden.
© Keystone/FM1Today
Peinliches Missgeschick am Morgen früh: Wie ich mein Handy auf der Autobahn verloren, die Polizei genervt und einen auf NSA-Satellitenüberwachungsagent gemacht habe. Eine Geschichte über Pech, Glück und Dragonballs.

Der Frühdienst beim Radio beginnt früh. Sehr früh. Schichtstart ist um 4 Uhr morgens – und die Müdigkeit ist auch die einzige Entschuldigung, die mir für das folgende Theater einfällt. Denn klar ist: Normalerweise verstaue ich mein Handy sicher nicht so in der Jacke, dass es mir beim Fahren mit der Vespa rausfallen kann.

Genau das ist um kurz vor 4 Uhr allerdings passiert. Als fleissiger Arbeiter habe ich die Abwesenheit des Smartphones erst ein paar Stunden später festgestellt. Seltsam, denke ich mir, denn ich vergesse das Ding eigentlich nie zu Hause. Lieber mal über die Google-Geräteortung nachschauen. Und dann kommt der Schock. Google sagt:

Irgendwo zwischen Stephanshorn- und Rosenbergtunnel, da wo gebaut wird, wo es keinen Pannenstreifen gibt, wo man ganz sicher nicht schnell anhalten kann. Vielleicht um 4 Uhr in der Früh, der Zeit der Milchlieferanten, Schichtarbeiterinnen und Radioredaktoren, aber ganz sicher nicht zwischen 6 Uhr morgens und Mitternacht.

Will ich mein günstiges, aber überaus zuverlässiges China-Gerät also wiederhaben, muss ich mich wohl oder übel bei der Polizei melden. Meine Vorstellung: Die fahren da schnell mit dem Blinker und 20 Stundenkilometern durch, niemand kann sich beklagen, weil Polizei, Handy gefunden und geborgen, Feierabend.

Ich melde mich also bei der Polizei und gebe dem sehr freundlichen Beamten die Koordinaten des Telefons durch. Er verspricht, eine Patrouille durchzuschicken, kann verständlicherweise aber für nichts garantieren, Verkehrslage und so. Und so kommt es, wie es kommen muss: Die Polizisten, sofern sie wirklich gesucht haben, finden nichts.

Mist...

...denke ich mir, fahre nach dem Feierabend die Strecke selbst nochmals ab und komme zum selben Ergebnis. Kann doch nicht sein, denn die Google-Ortung ist sonst erschreckend genau. Der Polizist hatte am Telefon zwar versprochen, dem Verkehrsunterhaltsdienst Bescheid zu geben, damit mir das chinesische Spionagegerät bei Auffinden ausgehändigt wird – aber das Ganze lässt mir keine Ruhe.

Hier zeigt sich auch die eigene Abhängigkeit vom Telefon: Was, wenn ich einen wichtigen Anruf verpasse? Nicht sofort mitbekomme, welchen Vollversager mein Fussballteam verpflichtet? Zu diesem Zeitpunkt geschehen in meinem vom Frühdienst gemarterten Hirn weltbewegende Ereignisse, die ich als einziger nicht erfahre:

Putin stirbt bei einem Line-Dance-Unfall. Maradona wurde wiederbelebt und spielt für den FC Rorschacherberg. Die Dragonballs gibt es wirklich.

Und so tue ich das, was man in dieser Situation halt macht – erstmal nach Hause und eine Runde schlafen.

Zum Glück gibt es Pilze

Eineinhalb Stunden später sitze ich wieder vor dem Computer und siehe da: Das Handy hat sich leicht bewegt. Kann sich natürlich auch um eine technische Abweichung handeln. Oder hat es doch ein Bauarbeiter mitgenommen?

Die Sache stresst mich so sehr, dass ich Kopfschmerzen bekomme. Zum Glück hat ein guter Freund gerade Zeit und fährt mit mir nochmals hoch. Laut der Ortung befindet sich das Gerät in der Nähe des Bahnhofs St.Fiden. Wir fahren also nochmal die Autobahn hoch und auf einmal sieht mein Kumpel das Gerät.

Es liegt auf dem 50 Zentimeter breiten Mini-Pannenstreifen auf der eigentlichen Überholspur (momentan ist einspurig), direkt unterhalb der Brücke zum Bahnhof St.Fiden. Mit seinen vom Pilzsuchen geschulten Legolas-Augen gelang es meinem Chauffeur, das graue Telefon auf dem graueren Beton zu entdecken.

Da ist es doch! Aber wie bekomme ich es zurück?

© FM1Today

Hallo Polizei

Weiter also auf die Brücke hinauf. Und da sehe ich das verloren geglaubte Gerät endlich selbst: Irgendwie hat es mehr als zwölf Stunden an einem Ort überstanden, wo nur wenige Zentimeter entfernt tausende Autos mit 80 Stundenkilometern durchrattern.

Das ist aber auch das Problem: Ich kann es unmöglich selbst holen. Am Ende würden wir noch eine Auffahrkollision mit Verletzten verursachen. Ich denke schon daran, wie ich dem Polizisten nach dem schrecklichen Unfall erklären muss, wieso ich das Handy einfach holen musste – wegen Putin und Maradona und der Dragonballs!

Es bleibt mir nur ein weiterer Anruf bei der Polizei – mit dem Telefon meines Freundes. Ich komme mir doof vor. Der zweite Polizist ist nicht mehr ganz so nett wie der erste, aber immer noch in Ordnung. Ich teile ihm den genauen Ort mit, ich könne ihn auch zeigen, wenn jemand vorbeikommt.

Unzerstörbarer China-Panzer

Er will nichts davon wissen. Ganz sicher werde er keine Polizisten zum Handyeinsammeln schicken. Komme mir noch blöder vor. Das könne der Verkehrsunterhaltsdienst machen. Und siehe da: Eine gute halbe Stunde später bekommt mein Freund einen Anruf, dass ich mein Handy abholen könne.

Der freundliche Herr vom Strassenunterhalt opfert sogar noch ein paar Minuten seines Feierabends für mich, um mir das Handy zu geben. Ich hätte Glück gehabt, meint er dazu – normalerweise würden sie sowas nicht machen. Er übergibt mir das Telefon, das keinen einzigen Kratzer davongetragen hat.

Ich spare mir weitere Fragen und zahle was in die Kaffeekasse ein. Bin zwar froh, das Gerät wiederzuhaben, aber es gibt definitiv schönere Arten, den Feierabend nach einem Frühdienst zu verbringen.

3310 lässt grüssen

Ich stelle fest, dass Maradona immer noch tot ist, Putin lebt und ich mir die Dragonballs immer noch abschminken kann. Obwohl diese Odyssee die Suche nach den magischen Kugeln eh fast in den Schatten stellt.

Schleierhaft bleibt mir auch, wie das Gerät mehr als zwölf Stunden auf dem kleinsten Pannenstreifen der Alpennordseite ohne einen Kratzer überstehen konnte. Als hätte es einen Überlebenskurs für Smartphones absolviert.

Vielleicht ist es auch der geistige Nachfolger des sagenumwobenen Nokia 3310. Auf jeden Fall kontrolliere ich jetzt immer zwei Mal, ob meine Taschen offen sind oder nicht.

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veröffentlicht: 4. September 2023 05:44
aktualisiert: 4. September 2023 05:44
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