St.Gallen, du Spiesserin
Eine Stadt, so sagt man, muss so vielfältig sein, wie die Menschen, die sie beherbergt. Eine Stadt muss leben, eine Stadt muss atmen. Und: Eine Stadt muss schlafen. Käme ein St.Galler in die Lärmlandschaft von Rom, Delhi oder Mexiko Stadt, so wäre er vor den Kopf gestossen. Diese akustische Kulisse ist für den Gallusstädter zu viel des Guten. Verständlich. Vertretbar.
Acht Beschwerden
Aber: Was für die einen ein gemütliches Festival ist, ist für andere schon Mexiko Stadt. Andere heisst im Falle des Weihern Openairs: Acht Lärmklagen, die im Jahr 2016 eingegangen sind. Für dieses Jahr wollte man die Lärmemissionen weiter eindämmen: Die Bühne sollte in Richtung Wald gedreht - die Zusammenarbeit mit der Polizei intensiviert werden. Dann der Paukenschlag: Gemäss Veranstalter haben die städtischen Behörden dem Weihern Openair neue Lärmschutzziele vorgelegt. Diese seien unmöglich einzuhalten, so der Veranstalter. Er zügelt sein Fest deshalb in die Grabenhalle.
Was neu ist, stört
Ich stelle in St.Gallen fest: Das Neue, das Mutige stört grundsätzlich erst einmal. Gut im Stören ist demnach auch das kleine Weihern Openair. Das Festival mit zuletzt maximalen 96 Dezibel (in etwa so laut wie ein Lastwagen) wird zunichte gemacht. Und zwar von Leuten, die über einen halben Kilometer entfernt wohnen und sich an den Lärmemissionen stören. Zu viel (Mexiko) Stadt für St.Gallen.
Es scheint, als ob die Stadt weder willens, noch in der Lage ist, einem Anlass, der in dieser schläfrigen Stadt für positive Gefühle und Gespräche sorgt, eine Chance zu geben. Könnte ja sein, dass Musikbegeisterte von ausserhalb nach St.Gallen kommen (man stelle sich das vor!).
Man bringt das kleine Weihern Openair dazu, sich selber den Todesstoss zu geben. Und das Weihern Openair ist nicht das einzige Beispiel für die Kulturverstümmelung unserer Stadt. Da wäre das Kugl - oder das St.Gallerfest. Letzteres vermag es, die Stadt - jeweils für ein Wochenende im Jahr - aus dem Koma zu reissen. Trotzdem (oder gerade deshalb?) wurde es beschnitten. Die Festzeiten wurden verkürzt. Anwohner fühlten sich gestört. Zu viel (Mexiko) Stadt für St.Gallen - auch in der Innenstadt.
Keine Nutzniesser, nur Leidtragende
Natürlich dürfen Lärmbeschwerden nicht ignoriert werden. Natürlich haben auch Anwohner ein Recht auf Ruhe. Und selbstverständlich müssen die geltenden Lärm- und Tierschutznormen eingehalten werden. Aber hat die Stadt nicht auch ein Recht zu atmen und zu leben? Sollten nicht auch junge, talentierte Musiker und Kulturschaffende eine Bühne bekommen?
Acht Beschwerden bringen ein Openair mit zuletzt über 2000 glücklichen Besuchern zu Fall. Wieso lässt man so etwas zu?
Weil St.Gallen eine elende Spiesserin ist.
Auf Anfrage sagt Stadtpräsident Thomas Scheitlin, dass die städtischen Behörden eine Durchführung des Weihern Openairs grundsätzlich begrüssen. Eine konkrete Anfrage des Veranstalters sei jedoch noch nicht eingegangen.Die «Lärmschutzziele» seien lediglich Vorschläge und keine Bedingung. Es handle sich um Anpassungsvorschläge im Bereich der Bühnenausrichtung und des Lärmpegels. Ab 22 Uhr solle beispielsweise eine ruhigere Band spielen oder der Lautstärkegrad gesenkt werden. Update: Am Freitag nahm der Stadtrat nochmals ausführlich Stellung. Die gesamte Stellungnahme gibt es hier.