«Seine Freunde nannten ihn wohl Ueli»

Heute ist es Roger Federer, früher war es Huldrych Zwingli. Ein Mann, der die Schweiz bewegt (hat). Zum Kinostart des neuen Kinofilms sind wir auf den Spuren Zwinglis im Toggenburg.

Ein zweistöckiges Holzhaus. Heute nichts Ungewöhnliches, im 16. Jahrhundert, zur Zeit Zwinglis, die absolute Ausnahme. «Es zeigt, dass seine Familie wohlhabend war. Früher war es üblich, dass die Häuser nur einstöckig waren», sagt Christoph Anderegg und öffnet die alte Holztüre. Anderegg hat früher als Theologe gearbeitet, heute ist er mitverantwortlich für das Geburtshaus von Zwingli in Wildhaus. Während wir über die knarrenden Holzbretter in Richtung Studierzimmer laufen, fährt er fort: «Sein Grossvater hat Rinder in der Lombardei verkauft und von dort Tücher, Gewürze und Weine nach Hause gebracht. Diese hat er wiederum hier verkauft und ist so zu Reichtum gekommen.»

Acht Stunden zur Schule laufen

Der Reichtum der Familie Zwingli zeigt sich auch an der Decke, die mit Schnitzereien versehen ist. Unser Atem erzeugt Rauchwolken, der grosse Ofen im Studierzimmer wurde schon lange Zeit nicht mehr eingefeuert. «Die meiste Zeit verbrachte die Familie in der Küche», sagt Anderegg. «Dort gab es ein Feuer und mit elf Kindern in einem Raum war es immer schön warm.» Lang musste Huldrych Zwingli in Wildhaus jedoch nicht frieren. Mit gut fünf Jahren schickten ihn seine Eltern in die Schule nach Weesen am Walensee. «Das war ein Fussmarsch von acht Stunden, von Wildhaus nach Weesen. Diesen musste der kleine Bub bewältigen - heim konnte er nur, wenn Ferien waren.» Bereits mit zehn Jahren ging Zwingli auf eine Lateinschule in Basel.

Die Sache mit dem Namen

Wenn Christoph Anderegg von Zwingli redet, nennt er ihn immer wieder Ueli. Besonders, wenn er über seine Zeit als Kind spricht. «Er hat sich erst in der Reformation Huldrych genannt, da es gelehrter wirkte und üblich war zu jener Zeit. Seine Familie und Freunde nannten ihn wohl Ueli», sagt Anderegg und geht die Treppe zu den Schlafgemächern hinauf. Hier hat Ueli mit seinen zehn Geschwistern und den Eltern geschlafen.

Das ganze Haus ist relativ düster, da es nicht viele Fenster hat. Fenster konnte man früher nicht so gut isolieren (Bild: FM1Today. / Dario Cantieni)

Eine Bibel auf Deutsch? Unvorstellbar

Das Innere des Zwingli-Geburtshauses ist bewusst schlicht gehalten. Einige Bilder hängen an den Wänden, die Möbel sind zwar aus jener Zeit, aber nachträglich reingestellt worden. Ein Stück ist jedoch besonders wertvoll. Und zwar ist es eine der ersten «Zürcher Bibeln» aus dem Jahr 1556. Eine Bibel, die dank Zwingli erstmals auf Deutsch übersetzt wurde. Damals eine grosse Neuheit, wo Gottes Wort stets in Latein geschrieben wurde. Sorgfältig löst Christoph Anderegg die Schnallen am dicken Buch und blättert schon fast andächtig durch die 500-jährigen Seiten. «Ein Buch war zu jener Zeit sehr wertvoll und auch das Papier war kein Massenprodukt, so wie heute.»

Zwingli auf der Leinwand

Angesprochen auf den neuen Kinofilm über Zwingli zeigt sich Anderegg zufrieden mit der Umsetzung. Auch wenn Wildhaus nicht darin vorkommt. «Ein Film muss spannend sein und darum beginnt er erst mit Zwinglis Reformationszeit in Zürich. Das ist zwar schade für Wildhaus, kann ich aber gut verstehen.» Im Dorf spiele Huldrych Zwingli erstaunlicherweise gar keine grosse Rolle, auch wenn das Geburtshaus dort steht. Wer den Trailer zum Zwingli-Film sieht, der bekommt einen ersten Eindruck vom Reformator, den Christoph Anderegg bestätigt. «Zwingli hat nicht zwischen Religion und Politik unterschieden. Für ihn war immer klar, dass wenn man die Religion verändert, man auch das politische Umfeld verändert.»

Wer sich das Geburtshaus von Zwingli anschauen will, findet alle Informationen hier.

Hier gibt es die aktuellen Folgen von «Gott und d'Wält» zum Nachhören:

«GuW 473 Zwingli Teil 1».
18. Juli 2019 - 16:17

«GuW 473 Zwingli Teil 1».


«GuW 473 Zwingli Teil 2».
18. Juli 2019 - 16:17

«GuW 473 Zwingli Teil 2».

«GuW 473 Zwingli Teil 3».
18. Juli 2019 - 16:17

«GuW 473 Zwingli Teil 3».

Dario Cantieni
veröffentlicht: 20. Januar 2019 09:02
aktualisiert: 20. Januar 2019 09:02
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