Fasten für den Charakter
Im Koran heisst es, zum Fasten ist jeder Muslim verpflichtet, der in vollem Besitz seiner Geisteskräfte, volljährig und körperlich dazu imstande ist. Es gibt allerdings auch Ausnahmen. Muslime, die «auf Reisen», krank oder schwanger sind, müssen nicht zwingend fasten. "Wer eine Woche krank ist, kann diese Zeit nach dem Auskurieren nachholen.
Chronisch kranke Menschen können den Betrag ihrer Mahlzeiten auch Bedürftigen spenden und den Ramadan so leben", erzählt Fatma Karakoc beim Fastenbrechen in der Türkischen Moschee in Rorschach.
Jeder Ramadan ist eine Chance
Für die 42-jährige Muslimin, die seit fast 25 Jahren im Rorschacherberg lebt, ist jeder Fastenmonat nicht nur Askese, sondern auch die Chance, den eigenen Charakter zu verbessern: «Ich versuche immer wieder während des Ramadans in mich zu kehren und zu schauen, wo kann ich mich noch verbessern. Manchmal gelingt es mir und manchmal falle ich in alte Verhaltensmuster zurück.»
Aber dann könne sie es ja im nächsten Fastenmonat nochmals versuchen. «Wir sind Menschen und nicht fehlerlos.»
So ist es auch nicht der Verzicht auf Essen, Trinken und Genussmittel, der Fatma besonders schwer fällt: «Das Schwierigste ist, mich in Geduld zu üben. Ich lasse mich mitziehen vom Alltagsstress, und es fällt mir schwer, inne zuhalten, mir die Zeit zu gönnen, über die Welt nachzudenken.»
Mit den Ärmsten mitfühlen
«Durch das Erleben von Hunger und Durst kann ich nachfühlen, wie es Menschen auf der Welt geht, die unter Armut leben müssen». Das, so erzählt Fatma, ist für sie das Schönste am Ramadan. Man wird sich bewusst, wie gut wir es haben und lernt sein Leben wieder mehr zu schätzen.
Erstmals gefastet mit 9
Ihren ersten Fastentag erlebte Fatma damals mit neun Jahren in der Türkei, wo sie bei ihrer Grossmutter aufwuchs. Trotz einem «Fastenverbot» für Kinder wollte die kleine Fatma unbedingt den Ramadan mitmachen. Alle Versuche der Grossmutter, dies zu verhindern, scheiterten.
«Zwei Stunden vor dem Fastenbrechen ging es mir dann schlechter. Ich hatte riesigen Hunger und sass auf der Treppe unseres Hauses, direkt gegenüber der Moschee, und wartete sehnsüchtig auf den Ruf des Muezzin», erzählt sie.
«Die gemeinsame Vorfreude fehlt»
Den Ramadan in der Schweiz erlebt Fatma ohne negative Reaktionen aus ihrem Umfeld. Trotzdem ist es für sie etwas Besonderes, den Fastenmonat in einem christlichen Land zu erleben: «In der Türkei leben wir die Vorfreude auf den Ramadan anders. Man wird von der Gesellschaft mitgezogen. Das ist vergleichbar mit der Vorfreude auf Weihnachten hier in der Schweiz.» Die gemeinsame Vorbereitung auf den Ramadan fehle ihr und ihrer Gemeinschaft hier deshalb etwas.
Der diesjährige Ramadan dauert noch bis zum 05. Juli.