Über 17'000 Stunden Überzeit bei Kapo St.Gallen – und obendrauf noch Personalmangel

Gerade auch Extradienste anlässlich von Fussballspielen führen zu Überzeiten bei der Polizei.
© Luzerner Zeitung/Boris Bürgisser
Der Fachkräftemangel bei der Polizei bleibt weiterhin akut. Haufenweise Überzeit, Extradienste an Wochenenden und zu tiefe Löhne sorgen immer wieder für Kündigungen. Auch Polizeikorps aus dem FM1-Gebiet kämpfen mit diesen Schwierigkeiten, es gibt aber deutliche Unterschiede.

Letzten Sommer musste ein Mediensprecher der Stadtpolizei St.Gallen in den aktiven Dienst ausrücken. Kurz zuvor musste die Kantonspolizei St.Gallen einzelne Polizeiposten temporär schliessen, um Überzeit sowie Ruhe- und Ferientage abzubauen. Auch in Vorarlberg kämpfen Polizeikorps mit Überzeit und Fachkräftemangel, wie Medienberichte zeigen. Aber wie sieht die Lage im FM1-Land aktuell aus?

Überstundenabbau führt zu mehr Überzeit

Auch jetzt ist die Lage noch angespannt. Wie Hanspeter Krüsi, Mediensprecher der Kapo St.Gallen, gegenüber FM1Today angibt, hat das gesamte Polizeikorps des Kantons aktuell insgesamt 17'017 Stunden Überzeit. Im Februar 2023 waren es noch 18'178 Stunden gewesen, somit konnte ein kleiner Rückgang verzeichnet werden. Trotzdem sind die Überstunden noch sehr hoch, auch im Vergleich zu 2022 mit 13'905 Stunden.

«Überstunden dürfen bei der Kantonspolizei St.Gallen nicht ausbezahlt werden. Daher ist man gezwungen, die geleisteten Überstunden, wenn irgendwie möglich, noch im gleichen Monat zu beziehen», sagt Krüsi. Andernfalls würden die Überstunden bei fast 1000 Mitarbeitenden unkontrolliert in die Höhe schnellen.

Dass die geleisteten Überstunden zeitnah abgebaut werden müssen, führt wiederum dazu, dass für den täglichen Dienst weniger Angestellte zur Verfügung stehen. Dadurch entstehen wieder Überstunden. Verstärkt wird das Ganze gemäss Krüsi dann noch durch den Fachkräftemangel: «Die Arbeit verteilt sich dadurch auf noch weniger Schultern.» Dieser Druck führte in den letzten Jahren unter anderem vermehrt zu Kündigungen. Auch, weil die Privatwirtschaft bessere Löhne biete.

Die Neurekrutierung bleibt gemäss Krüsi die effektivste Lösung des Problems. «Da alle Polizeikorps ihren Nachwuchs selbst ausbilden müssen, dauert es aber mindestens zwei Jahre, bis die neuen Mitarbeitenden das Korps verstärken können.» Die Nachrekrutierung gestalte sich seit Jahren schwierig und dauere auch seine Zeit.

Fehlendes Personal sorgt für höheren Arbeitsaufwand

Ähnlich ist die Situation bei der Stadtpolizei St.Gallen. Die Mitarbeitenden haben dort gemäss Dionys Widmer, Mediensprecher der Stapo, im Durchschnitt zirka 36 Stunden Überzeit. Über die gesamte Stapo könne man im Vergleich zum Vorjahr einen leichten Rückgang der Überstunden von zwei Stunden pro Mitarbeiterin oder Mitarbeiter verzeichnen. Bei den Polizistinnen und Polizisten an der Front gab es allerdings eine Erhöhung von zirka 3 Stunden pro Person.

Da die Überzeit aber so rasch wie möglich abgebaut oder ausbezahlt wird, zeige die Überzeit aber nicht die effektive Belastung der Mitarbeitenden. Die steigende Anzahl Überstunden lässt sich gemäss Widmer primär auf unbesetzte Stellen bei der Frontpolizei zurückführen. «Da aber der Arbeitsanfall nicht geringer wird, führt dies zwangsläufig zu erhöhten Stundensaldi bei den verbleibenden Mitarbeitenden.»

Es ist aber Entlastung an der Front in Sicht: Im Oktober werden 15 neue Polizistinnen und Polizisten in Ausbildung ihren Dienst an der Front aufnehmen, was die Situation entschärft. Auch wenn im Herbst Verstärkung kommt, spürt auch die Stapo den Fachkräftemangel. «Seit einiger Zeit stellen wir fest, dass Mitarbeitende, welche unser Korps verlassen, vermehrt in die Privatwirtschaft gehen», so Widmer.

Die Gründe dafür seien vielfältig: die aktuelle Arbeitsbelastung, der zunehmend schwierige Umgang mit Teilen der Bevölkerung sowie zu tiefer Lohn und Zulagen. «Wir sind jedoch bestrebt, eine attraktive Arbeitgeberin zu sein, um Mitarbeitende zu halten und neue gewinnen zu können», sagt der Polizeisprecher.

Überzeit wird pauschal verrechnet

Ein wenig anders sieht die Situation bei der Kantonspolizei Thurgau aus. Dort gilt nämlich die sogenannte Inkonvenienz-Regelung. Nach dieser Regelung werden Unannehmlichkeiten im Beruf von Polizistinnen und Polizisten über eine Pauschale entschädigt. Dies betrifft einerseits Überstunden, aber auch Pikett-, Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdienste sowie mögliche Gefährdung bei Einsätzen.

Die jährliche Entschädigung beträgt gemäss Andy Theler, Mediensprecher der Kapo Thurgau, aktuell 9594 Franken bei der Regionalpolizei und 8996 Franken im Fachdienst. Dadurch werden Überstunden von Polizistinnen und Polizisten bis zwei Stunden pro Tag mit der Pauschale abgegolten. Erst wenn Mitarbeitende mehr als zwei Stunden Überzeit pro Tag leisten, werden diese aufgeschrieben.

Laut Theler hat die Kapo Thurgau 2023 ein Projekt gestartet, in dem die Inkonvenienz-Entschädigung überprüft wird: «Es geht dabei insbesondere um die Frage, ob mit der aktuellen Regelung tatsächlich abgegolten wird, was die Mitarbeitenden effektiv leisten.» Vor knapp einem Jahr berichtete FM1Today von einer Kündigungswelle bei der Kapo Thurgau, mitunter auch wegen dieser Regelung.

Hier ist die Lage entspannter

Es gibt aber auch Polizeikorps im FM1-Land, welche nicht mit gehäufter Überzeit kämpfen. Dazu gehören laut Angaben der zuständigen Mediensprecher einerseits die Kapo Appenzell Ausserrhoden sowie Innerrhoden, aber auch die Kapo Graubünden. Dazu kommt, diese Korps momentan kaum Personalvakanzen haben. Somit ist dort der Fachkräftemangel aktuell ebenfalls weniger Thema.

Wenn aber Überzeiten anfallen, dann meist aufgrund von kurzfristigen und ungeplanten Einsätzen. Dazu gehören beispielsweise Verkehrsunfälle kurz vor Schichtende. Das steht beispielsweise im Gegensatz zur Stapo St.Gallen, wo auch viel Überzeit durch Extradienste anlässlich von Fussballspielen, Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen generiert wird.

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Linda Hans
veröffentlicht: 20. März 2024 05:42
aktualisiert: 20. März 2024 05:42
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