«Müssen vermutlich Leute wegschicken»: Notschlafstellen kommen an ihre Grenzen

Solche Notbetten sind für einige die einzige Möglichkeit, in der Wärme zu übernachten. (Symbolbild)
© Keystone
In der kalten Jahreszeit verkriechen wir uns gerne in unsere warmen vier Wände. Doch was, wenn man kein Zuhause hat? Die Notschlafstellen sind die Anlaufstelle für all jene, die einen warmen Platz zum Schlafen brauchen. Doch die Unterkünfte geraten an ihre Grenzen.

Die Schneemassen türmen sich, es weht ein eisiger Wind, die Temperaturen fallen unter die Null-Grad-Grenze. Da gibt es eigentlich nichts Besseres, als sich zu Hause unter der warmen Decke zu verkriechen. Doch nicht alle Menschen haben das Glück, ein Dach über dem Kopf zu haben.

Unterkünfte werden nicht nur von Randständigen benötigt

Für einige sind die Notschlafstellen in St.Gallen, Chur und Weinfelden die einzige Möglichkeit, die Nacht in der Wärme zu verbringen. Dabei handelt es sich nicht nur um «klassische» Randständige. Oft werden die Unterkünfte von Leuten benötigt, die sich gerade in einer Notsituation befinden, beispielsweise durch eine Trennung oder sonstige familiäre Probleme. Zudem sei ein Anstieg von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu erkennen. Diese seien oft nicht mehr in der Lage, den Alltag selbst zu bewältigen, wie es bei den Notschlafstellen heisst.

Die Gründe unterscheiden sich jedoch nach Region. So ist beispielsweise in Chur der ausgetrocknete Wohnungsmarkt ein Faktor, aber auch, dass vor allem in der Bau- und Gastrobranche Wohnungen an die Anstellung geknüpft sind. In Weinfelden werden teilweise Leute von der Gemeinde in die Notherberge geschickt.

Doch der Platz in den Notschlafstellen im FM1-Land ist nicht grenzenlos. FM1Today hat bei den Notschlafstellen in der Region nachgefragt, wie die momentane Situation ist.

St.Gallen

Die Stadt St.Gallen bildet im FM1-Land eine Ausnahme. Hier gibt es gleich mehrere Notschlafstellen. Zum einen ist dies die von der Stadt betrieben Unterkunft für Obdachlose (Ufo) sowie die private Stelle Endlesslife.

Die Auslastung der Ufo sei generell hoch, erklärt Philip Fehr, Leiter Abteilung Sozialhilfe der Stadt St.Gallen, gegenüber FM1Today. Es gebe aber saisonale Schwankungen. «Vor allem im Winter sind wir immer stärker besucht als im Sommer», sagt Fehr.

Zudem könne es auch tagesabhängig sein. So sei die Notschlafstelle an einem Tag proppenvoll, am nächsten Tag seien es dann vielleicht nur zwei Personen. Es sei bisher aber kein Anstieg zu den Vorjahren erkennbar. Fehr betont, dass die Kapazitäten – die Ufo besitzt zehn Betten und die Möglichkeit für zusätzliche Notbetten – bisher immer genügt habe. Dies soll auch in Zukunft kein Problem sein.

Auch die private Notschlafstelle ist bereits gut ausgelastet, wie Thomas Feurer, Gründer und Leiter der Notschlafstelle Endlesslife, auf Anfrage erklärt. Momentan seien es täglich etwa fünf bis sieben Personen, die bei ihnen einen Schlafplatz suchen. Feurer geht aber davon aus, dass es im Laufe des Winters noch mehr werden. Im Gegensatz zu den anderen Notschlafstellen ist die Übernachtung hier für die Betroffenen kostenlos.

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Laut Fehr sind in der Stadt St.Gallen zwei Dinge auffällig. Zum einen nehme die Zahl der «klassischen» Randständigen in der Ufo ab, dafür steige jedoch der Anteil an Personen mit einer psychischen Erkrankung und Frauen, die die Notschlafstelle aufsuchen, an. Es wird ein Zusammenhang zwischen dem Anstieg des Anteils an Frauen und psychischen Erkrankungen vermutet. Früher sei es eher so gewesen, dass sich Frauen auf anderen Wegen ein Dach über dem Kopf gesichert hätten, beispielsweise durch sexuelle Gefälligkeiten. Personen mit einer psychischen Erkrankung könnten jedoch weniger durch das Umfeld aufgefangen werden beziehungsweise sich einen anderen Schlafplatz organisieren, weshalb der Anteil an Frauen in der Unterkunft ansteige.

Die Nacht in der Ufo ist nicht kostenlos. Laut Fehr sei es aber so, dass dies meist nicht von den Übernachtenden selbst bezahlt werde, sondern von der Sozialhilfe. Es werde niemand weggeschickt, weil er oder sie die Übernachtung nicht bezahlen könne. Diese Personen erhalten Notnächte, während die Mitarbeitenden der Unterkunft die Kostengutsprache bei der betreffenden Gemeinde einholen. Des Weiteren gilt hier, dass primär Personen, die ihren Lebensmittelpunkt in der Stadt haben, Anspruch auf einen Platz haben. Diese Einschränkung werde vorgenommen, da die Kosten auch von der Stadt übernommen werden.

Fehr sieht das Angebot in der Stadt St.Gallen als genügend an. Er würde sich aber einen Ausbau des Angebots in der Ostschweiz wünschen.

Graubünden

Auch in der Churer Notschlafstelle sind die Betten bereits gut belegt. «Momentan sind wir zu 70 Prozent ausgelastet», erklärt der Betriebsleiter Carlo Schneiter gegenüber FM1Today. In Chur wurde die Kapazität der Notunterkunft in den vergangenen Jahren ausgebaut. Früher waren es zehn Betten, aktuell stehen der Notschlafstelle 16 Betten zur Verfügung – damit ist das Maximum erreicht.

Und dies ist laut Schneiter bitter nötig: «In den vergangenen Jahren hat die Anzahl an Übernachtungen bei uns stetig zugenommen.» Und auch dieses Jahr werde dies nicht anders sein. Schneiter denkt – oder hofft zumindest – dass die Bettenanzahl für den Winter ausreicht. Es werden aber bereits Notfallpläne geschmiedet, für den Fall, dass es einen überdurchschnittlichen Andrang gäbe.

In Chur kostet eine Übernachtung zehn Franken, inklusive Frühstück und Abendessen. Dabei handelt es sich laut Schneiter um einen symbolischen Betrag. Die Kosten würden damit nicht gedeckt. Er betont aber auch: «Wir werden niemanden wegweisen, weil er den Betrag nicht bezahlen kann.» In solchen Fällen stehen Spenden zur Verfügung oder die Unterstützung durch andere Hilfsangebote.

Die Schutzsuchenden seien hauptsächlich männlich und 30 Jahre alt oder älter. Oft seien die Personen in einer schlechten gesundheitlichen Verfassung. Sei es psychisch oder aufgrund einer Suchterkrankung.

Schneiter wünscht sich, dass es künftig mehr Betten gibt. Allerdings sei dies am jetzigen Standort nicht möglich.

Thurgau

Ebenfalls an ihre Grenzen stösst die Kirchliche Notherberge in Weinfelden. Sie ist die einzige Einrichtung ihrer Art im Kanton. Verantwortlich für die Institution ist die Hausleiterin Linda Roth. Das Angebot in Weinfelden ist aber anders als jenes in Chur oder St.Gallen.

In Weinfelden können die Leute bis zu 89 Nächte am Stück verbleiben und quasi in der Notherberge wohnen. Es seien auch nicht klassische Randständige, die in Weinfelden Unterschlupf suchen, sondern Personen, die sich in einer akuten Notlage befinden, also zum Beispiel familiäre Schwierigkeiten. Denn für Süchtige oder Menschen mit bestimmten psychischen Erkrankungen habe die Einrichtung nicht die nötigen Ressourcen. «Wir haben zum Beispiel keinen Nachtdienst. Darum können wir auch nicht die Sicherheit gewährleisten und können diesen Menschen auch keinen Platz anbieten», erklärt Roth auf Anfrage.

Zudem sei es auch so, dass die Leute nicht nur von sich aus kommen, sondern zum Teil direkt von den Gemeinden nach Weinfelden verwiesen werden. Eigentlich müssen die Gemeinden selber Notunterkünfte zur Verfügung stellen. Doch dies ist nicht überall der Fall. «Wir werden oft von den sozialen Diensten der Gemeinden angefragt. Dadurch waren wir zum Teil mit Leuten aus den Gemeinden ausgelastet, sodass wir private Anfragen nicht berücksichtigen konnten», sagt Roth weiter. Darum hat die Notherberge reagiert und ihre Regeln angepasst. Neu müssen Gemeinden, die ihnen Leute zuweisen wollen, Mitglied des Vereins sein und einen Mitgliederbeitrag bezahlen. Zudem dürfen die aus den Gemeinden Zugewiesenen nicht 89 Nächte bleiben, sondern nur 60. «So wollen wir sicherstellen, dass wir jederzeit ein freies Bett für echte Notfälle haben», sagt Roth.

In Weinfelden kostet eine Übernachtung 15 Franken. Doch auch hier ist es wie in Chur: Es wird niemand weggewiesen, weil er oder sie den Betrag nicht bezahlen kann. Die Kosten werden auch hier oft von den Sozialämtern oder den Beiständen bezahlt.

Roth geht davon aus, dass die Kapazität in Weinfelden nicht ausreicht und sie vermutlich Leute wegschicken muss im Laufe des Winters. «Wir haben fünf Betten und zwei Notbetten – und das sind die einzigen im Kanton. Das sind definitiv zu wenig», sagt Roth.

Roth würde sich ein niederschwelliges Betreuungs- und Beratungsangebot wünschen. «Momentan bieten wir den Leuten einfach ein Bett. Aber die Betroffenen beispielsweise bei Behördengängen zu unterstützen oder mit ihnen gemeinsam einen Ausweg aus der Situation zu suchen, das liegt personell und finanziell nicht drin», klagt Roth. «Die Leute werden bei uns oft nur deponiert, aber nicht unterstützt», kritisiert sie. Ihr ist aber auch bewusst, dass die sozialen Dienste und Berufsbeistände ebenfalls überlastet sind. Hier müsste ihrer Ansicht nach die Politik aktiv werden.

veröffentlicht: 10. Dezember 2023 06:22
aktualisiert: 10. Dezember 2023 06:22
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