Ostschweiz
St. Gallen

Der St.Galler Regierungsrat Fredy Fässler im letzten Interview

Fredy Fässler sagt Tschüss: Seine Erfolge, Herausforderungen und Pläne

Fässler sass seit 2012 in der St.Galler Regierung. Nun ist Schluss. (Archivbild)
© Keystone
Viele St.Gallerinnen und St.Galler kennen die kantonale Politik nur mit ihm. Der scheidende Regierungsrat Fredy Fässler prägte die Politik im Kanton für über drei Jahrzehnte. Nun nimmt er den Hut. Wir haben ihn zum letzten Interview als Regierungsrat getroffen.

Herr Fässler, als erstes gleich die Frage, die Ihnen in den vergangenen Monaten am öftesten gestellt wurde: Wie geht es Ihnen?

Fredy Fässler: Mir geht es gut, ich bin mit meinem Gesundheitszustand zufrieden. Ich habe keine Schmerzen und meine Wahrnehmung ist intakt. Was ich noch spüre, ist eine Verunsicherung beim Gehen – vor allem im Dunkeln oder bei Treppen.

Ihre Gesundheit war in letzter Zeit das Hauptthema. Ist es auch der Hauptgrund, warum Sie sich nicht nochmals zur Wahl stellten? Oder wäre es ohne die Vorfälle gar keine Diskussion gewesen, nochmals anzutreten?

Das weiss ich nicht. Was ich weiss, ist, dass ich im Januar meinen 65. Geburtstag gefeiert habe. Und irgendwann muss man sich entscheiden. Während meiner Reha in Walzenhausen hatte ich sehr viel Zeit, um zu überlegen, was ich will. Das war keine einfache Entscheidung.

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Warum?

Meistens habe ich mir die Gedanken in der Nacht gemacht. Manchmal dachte ich, dass ich sicher zurückkehren werde. Manchmal aber auch, dass alles keinen Sinn mehr macht. Doch irgendwann konnte ich den Entscheid, nicht nochmals anzutreten, fassen.

Wie war das für Sie?

Überraschenderweise war es eine grosse Erleichterung für mich. Ich wusste nun, wie es weitergeht.

Wer hat Sie denn bei der Entscheidung unterstützt?

Natürlich habe ich mit meiner Frau und meiner Familie darüber gesprochen. Auch in der Reha kam es zur Sprache, weil ich dort merkte, was ich noch kann und wo ich noch Verbesserungspotenzial habe. Ich hatte also eigentlich eine Art Gesamtpaket, um die Entscheidung zu fällen. Das war auch nötig. Sonst wäre ich isoliert und alleine gewesen. Diesen Entscheid alleine zu fällen, wäre herausfordernd gewesen.

Also war es für Sie schwierig, loszulassen?

Ja. Mein Wunsch war es, die Legislatur zu Ende führen zu können. Leider liess dies meine Gesundheit nicht zu. Irgendwann musste ich auch auf mich schauen. Mein Umfeld sagte dazu nur: «Du häsch recht!» Es war die richtige, aber sicherlich nicht eine erfreuliche Entscheidung.

In all den Jahren, in der Sie in der St.Galler Politik waren, haben Sie sicherlich einiges erlebt. An was erinnern Sie sich besonders gerne?

Besonders gefreut hat es mich immer, wenn ich in der Regierung oder im Kantonsrat eine Mehrheit fand, an der ich zuvor gezweifelt hatte. Weil im Vorhinein weiss man ja nicht, ob das Geschäft abgelehnt, abgeändert oder angenommen wird. Wenn man es dann schafft, eine Mehrheit zu finden, ist das eine grosse Erleichterung. Das gibt einem ein gutes Gefühl. Denn man hat ja das durchgebracht, was man selbst für richtig hält.

Was würden Sie als Ihren grössten politischen Erfolg bezeichnen?

Das ist schwierig zu beantworten. Was mich wohl am meisten beschäftigte und am Schluss auch die grösste Freude in mir auslöste, war, dass wir im Jahr 2015 die unerwartet hohe Anzahl an Flüchtlingen meistern konnten. Da die Balkanroute in Buchs endet, waren diese Menschen alle zuerst bei uns. Wir mussten grosse Anstrengungen unternehmen, um diese Leute würdig unterzubringen. Dort ist es uns gelungen, dass auch die Gemeinden am gleichen Strang ziehen. Das war nicht überall in der Schweiz so.

Ging das ohne Widerstand?

Nein, natürlich gab es auch Widerstand aus der Bevölkerung. Beispielsweise, wenn wir ein neues Asylzentrum eröffneten. Als ich eine Infoveranstaltung für ein Zentrum in einer Gemeinde besuchte, war die Stimmung sehr aggressiv. Was mich daran besonders störte: Ich kann mit Angriffen auf meine Person gut leben, das gehört zum Job. Aber als die Personen, welche dem Kanton die Liegenschaft zur Verfügung stellten, rabiat angegangen wurden, verstand ich es überhaupt nicht. Die wollten ja nur etwas Gutes tun.

Wie ging die Geschichte am Schluss aus?

All die Probleme, welche als Gegenargumente ins Feld geführt wurden, traten nicht auf. Man sah, dass es einfach nur Menschen sind. Die erhöhte Polizeipräsenz, die extra von der Gemeinde gefordert wurde, störte dann die Einwohnerinnen und Einwohner mehr als die Unterkunft.

Würden Sie das Jahr 2015 auch als die grösste Herausforderung Ihrer Amtszeit bezeichnen?

Ja. Es war sehr herausfordernd, denn so viele Menschen waren schon lange nicht mehr auf der Flucht. Wir waren damals nicht richtig darauf vorbereitet. Jetzt sind wir definitiv besser bereit, auch wenn die Unterbringung von Geflüchteten herausfordernd bleibt.

Die Gemeinden helfen also mit, aber die Bevölkerung wehrt sich. Würden Sie sich weltoffenere St.Gallerinnen und St.Galler wünschen?

Natürlich (lacht). Wenn ich wünschen könnte und alles sofort wahr werden würde, würde ein Zacken mehr Weltoffenheit sicher nicht schaden. Aber insgesamt haben wir es geschafft, weil alle mitgemacht und eingesehen haben, dass reagiert werden musste.

Wir haben nun über die Erfolge und Herausforderungen gesprochen. Doch es gibt ja auch Geschäfte, die keine Mehrheit finden. Welchem trauern Sie besonders nach?

Natürlich ist das unangenehm, wenn man keine Mehrheit findet. Aber das gehört zum demokratischen Prozess dazu. Man kann nicht immer gewinnen. Ich spreche lieber über das Gelungene – und das ist viel.

Was wünschen Sie Ihren Regierungsrats-Kolleginnen und -Kollegen für die Zukunft?

Ich wünsche ihnen, dass sie in der gleichen Kollegialität weiterregieren. Sie sollen sich gegenseitig zuhören, die Argumente prüfen und ihre eigenen Positionen vielleicht überdenken. Denn das ist auch das Wesen unserer Demokratie. Man sollte auf Augenhöhe gemeinsame Entscheide fällen – und nicht einfach nach dem «Parteibüechli». Dies ist der St.Galler Regierung in den letzten vier Jahren meiner Ansicht nach gelungen.

Das klingt sehr harmonisch.

Natürlich haben wir auch mal gestritten. Aber wir haben dienstags nach der Regierungsratssitzung immer gemeinsam Zmittag gegessen. Dabei konnten wir Missverständnisse oder Unverständnis im lockeren Rahmen miteinander anschauen.

Als Regierungsrat oder auch Regierungspräsident hat man ja nicht nur politische Aufgaben. Auch gewisse repräsentative Aufgaben gehören dazu. Was war ihr Lieblingstermin?

Uii, das ist schwierig. Spontan fällt mir da natürlich die Olma-Eröffnung ein. Da ist es ja die Aufgabe des Regierungspräsidenten, mit der anwesenden Bundesrätin oder dem anwesenden Bundesrat die Messe zu besuchen und mit dem Säuli zu posieren. Das war immer sehr speziell.

Können Sie sich an einen Moment besonders erinnern?

Ja, als Doris Leuthard zu Besuch war. Sie sagte mir, dass sie ein wenig Angst habe vor dem Säulihalten. Da habe ich ihr gesagt: «Keine Angst, ich bin auf dem Bauernhof aufgewachsen. Ich kann dich unterstützen, falls es nötig wird.»

In Ihrem Amt trifft man zahlreiche Leute, seien es Wähler, Politikerinnen oder Staatsgäste. Welche Begegnung berührte sie am meisten?

Das stimmt, ich hatte unzählige Begegnungen, in denen mir die Menschen ihre Probleme aufzeigten, mit denen sie gerade konfrontiert sind. Das hat mich jedes Mal unheimlich berührt.

Das klingt jetzt ziemlich negativ. Gab es auch Positives?

Ja, komischerweise aber auch eher aus etwas Negativem. Als ich nach meinem Unfall entlassen wurde, ging ich durch die Stadt. Da habe ich gemerkt, wie viele Leute an mich denken. Viele kamen zu mir und wünschten mir alles Gute oder sagten mir, dass ich wieder kandidieren soll. Ich habe auch aus der ganzen Schweiz Genesungswünsche und Zuschriften erhalten, von Leuten, die ich gar nicht kenne. Das hat mir extrem gut getan und ich bin überzeugt, dass diese positiven Nachrichten meine Genesung ziemlich stark beeinflusst haben.

Jetzt sind wir bereits bei der letzten Frage angelangt. Nach all den Rückblicken schauen wir nun nach vorne. Was werden Sie nach Ihrer Zeit als Regierungsrat tun?

Während meiner Zeit in der Politik musste meine Familie oft auf mich verzichten. Jetzt habe ich die Gelegenheit, wenigstens ein bisschen davon nachzuholen. Zudem kann ich Ihnen ein Geheimnis verraten. Ich werde Ende Mai zum ersten Mal Grossvater. Es könnte sein, dass das Enkelkind genau am 31. Mai, meinem offiziell letzten Arbeitstag, zur Welt kommt. Also habe ich direkt eine neue Aufgabe, auf die ich mich extrem freue. Gemeinsam mit meiner Frau werde ich auch einen Teil der Betreuung übernehmen.

veröffentlicht: 1. Mai 2024 06:06
aktualisiert: 1. Mai 2024 06:14
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