E-Trottis erobern weitere Gemeinden – dabei läuft längst nicht alles rund

Manuel Herzog, Public Policy & Business Development Manager in St.Gallen und zuständig für die Region, zieht im Interview zwar eine überwiegend positive Bilanz.
© zVg
E-Scooter sind aus den meisten Städten nicht mehr wegzudenken. Der Anbieter Tier ist in der Ostschweiz schon in 14 Gemeinden vertreten – und noch lange nicht am Ende mit seinem Eroberungszug. Doch auch drei Jahre nach der Einführung läuft noch längst nicht alles nach Wunsch.

Sie stehen an der Ecke, dem Troittoir, vor dem Hauseingang, an der Bushaltestelle und manchmal liegen sie auch traurig in irgendeiner Wiese. Die türkis-schwarzen Tier-E-Scooter und -Velos sind aus grösseren Städten nicht mehr wegzudenken. Und die Nachfrage gibt dem Start-up Recht: Aktuell nutzen etwas mehr als 38'000 Personen in und um St.Gallen die Fahrzeuge.

Seit der Einführung im Juli 2020 wurden 620'000 Fahrten zurückgelegt, was einer Strecke von 800'000 Kilometern entspricht. Aufgrund neuester Zahlen geht Tier davon aus, dass jede sechste Fahrt mit einem Trotti oder Velo eine Autofahrt spart. Dabei stützt sich das Start-up auf Kundenumfragen und Studien aus dem deutschen Raum.

Manuel Herzog, Public Policy & Business Development Manager in St.Gallen und zuständig für die Region, zieht im Interview zwar eine überwiegend positive Bilanz – versteckt dabei aber nicht die negativen Seiten.

Eine Ergänzung, keine Konkurrenz

«Sehr gut funktioniert die Verfügbarkeit unserer Fahrzeuge. Wir wissen genau, wann und wo die Nachfrage jeweils gross ist und wo unsere Fahrzeuge stehen müssen», sagt Manuel Herzog. Tier sei gut vernetzt und auch der einzige Anbieter, der kleine Gemeinden – ohne gute ÖV-Anbindung – bedient. «Für die meisten Anbieter sind grosse Städte eher interessant, da sich dort mehr Geld verdienen lässt. Dadurch, dass wir uns in den Gemeinden gut positionieren konnten, haben wir einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz.»

Sehr wichtig für Tier sei auch die Zusammenarbeit mit Ostwind, laut Herzog «die grösste Kooperation zwischen Mikromobilität und einem Tarifverbund in der ganzen Schweiz». Der Pilotversuch letztes Jahr habe gezeigt, dass die Scooter und Velos den ÖV ergänzen und nicht konkurrenzieren würden. So hätten den Code – mit dem Kundinnen und Kunden von Ostwind die Fahrzeuge ohne Freischaltgebühr nutzen können – während des Versuchs 5200 Personen in Anspruch genommen.

Kundinnen und Kunden von Ostwind sind noch bis Ende 2023 von der Freischaltgebühr befreit. Per Dezember soll es ein neues, fixes Angebot geben, daran werde aber noch gearbeitet.

Wie erzieht man Falschparker um?

Eine gute Verfügbarkeit der Trottis heisst auch, dass sie überall zu finden sind. Und genau das stört viele Leute. Dass falsch abgestellte Fahrzeuge ein Problem sind, ist auch Manuel Herzog klar. Massnahmen wurden bereits eingeleitet: So müssen Nutzerinnen und Nutzer seit Kurzem immer ein Foto ihres abgstellten Gefährts in der App hochladen, sonst können sie sich nicht abmelden.

Ausserdem arbeitet das Start-up unter anderem mit der Sozialversicherungsanstalt zusammen. Zum einen bietet das eine Möglichkeit zur Wiederintegration in den Arbeitsmarkt, zum anderen ist es sehr praktisch für das Unternehmen. «Diese Leute sind täglich zu Fuss auf dem Stadtgebiet St.Gallen oder am Bodensee unterwegs und kümmern sich nur um falsch parkierte Scooter und Velos. Sie stellen die Fahrzeuge um, wenn sie nicht korrekt abgestellt wurden», so Herzog. Dieses Vorgehen habe die Reklamationsrate 2022 im Vergleich zu 2021 um gut 75 Prozent gesenkt. Mit «Bonuszonen» – in denen die Nutzerinnen und Nutzer beispielsweise fünf Fahrminuten geschenkt bekommen – versucht Tier die Kundschaft zusätzlich zu animieren, die Fahrzeuge korrekt abzustellen.

Die «Bonuszonen» ergeben aber nur Sinn, wenn die App sie auch erkennt. Und auch das läuft noch nicht reibungslos. «Unsere Fahrzeuge werden über GPS getrackt. Es ist bekannt, dass das nicht sehr genau ist. Dann kann es sein, dass man auf einer Zone steht, aber die App zeigt sie einem fünf Meter weiter weg an.» Aktuell werde aber auch hier an einer Technologie gearbeitet, die Abhilfe schaffen soll. «Wir versprechen uns eine grosse Verbesserung bei der Genauigkeit der Fahrzeuge», so Herzog.

Fixe Parkzonen als zweischneidiges Schwert

Belohnungen und Fahrzeuge umstellen sind zwei Möglichkeiten, Falschparkierern entgegenzuwirken. Eine weitere Möglichkeit sind fixe Parkzonen. Diese wurden kürzlich erst in Goldach und Rorschach eingeführt, weil dem Stadtrat die wilde Parksituation ein Dorn im Auge war. Seit der Umstellung ist die Nutzung in Goldach leicht zurückgegangen, in Rorschach ist die Nachfrage unverändert.

Genau auswerten lasse sich das aber noch nicht, da die Fahrzeuge in den Wintermonaten allgemein weniger genutzt werden. Den leichten Rückgang scheint Manuel Herzog aber gerne in Kauf zu nehmen: «Der Wechsel auf das geschlossene Parksystem sorgt auch für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung und die Leute nerven sich nicht über falsch abgestellte Scooter.»

Gleichzeitig könne man in Horn das Gegenteil beobachten: Dort war das System zuerst geschlossen. Wegen der tiefen Nachfrage hat man die Parkzonen aufgehoben und seit da ist die Nutzung gestiegen.

Mehr Einbindung in den ÖV

Für die nächsten Jahre fasst Tier nicht nur technische Fortschritte ins Auge, sondern auch die Beziehungen zu Städten, Gemeinden und Firmen. Damit die Nachhaltigkeit gesteigert werden könne, brauche es die Zusammenarbeit von verschiedenen Mobilitätspartnern – also eine stärkere Einbindung in den Öffentlichen Verkehr und bei Events. Auch seien Subventionen ein Thema, vor allem in Gebieten, wo die Nachfrage nach den Trottis tiefer sei.

An Kooperationen arbeitet Manuel Herzog schon, unter anderem mit dem Schweizer Jugendmusikfest sowie der Reitsportveranstaltung CSIO. Bei letzterem sei eine Mobilitätslösung von der ÖV-Haltestelle bis zum Event geplant. Helfer sowie Sportlerinnen sollen von Vergünstigungen profitieren, um beispielswese ins Breitfeld oder zum Bus zu kommen. «Das ist der Schritt, den Mikromobilität gehen muss. Menschen brauchen Kombinationsmöglichkeiten.»

Scan den QR-Code

Du willst keine News mehr verpassen? Hol dir die Today-App.

veröffentlicht: 29. März 2023 05:55
aktualisiert: 30. März 2023 07:17
studio@radiofm1.ch