Riesige Nachfrage nach E-Bikes: «Lieferungen erst im Jahr 2023»

Die Corona-Pandemie löste einen Boom auf dem Velomarkt aus. Dieser hält bis heute an, doch die Produktionsketten kommen kaum hinterher. Für Kundinnen und Kunden mit Spezialwünschen bedeutet das: Geduld haben. Sehr viel Geduld.

Mittlerweile sind sie überall: Gefühlt neun von zehn Fahrrädern, die man auf der Strasse sieht, laufen mit elektrischer Verstärkung. Ist ja auch toll, wenn man als sechzigjährige Frau, in dicke Winterkleidung gehüllt, einen halb so alten Mann auf dem Rennrad bergaufwärts locker überholen kann. Ohne einen Tropfen Schweiss, im Vergleich zum Typ auf dem Rennrad (ja, das bin ich, spielt aber keine Rolle).

Die harten Zahlen zeigen zwar, dass die E-Bikes in der Schweiz trotz gegenteiligem Eindruck noch nicht in der Überzahl sind – 2020 lag der Anteil der E-Bikes bei den verkauften Velos bei etwa einem Drittel. Letztes Jahr wurden aber ohnehin so viele Velos verkauft wie noch nie, der Absatz stieg laut Verband Velosuisse um etwa 40 Prozent.

Es sind goldene Zeiten für Schweizer Velohändler, zumindest für die grösseren. Denen werden E-Bikes, genauso wie normale Fahrräder, teilweise geradezu aus den Händen gerissen.

«Haben bestätigte Liefertermine für 2023»

Nur: Die riesige Nachfrage stösst auf ebenso grosse Versorgungsengpässe. An deren Ursprung steht die Corona-Pandemie: Viele Fabriken in Fernost, wo die Teile hergestellt werden, sind immer noch im Lockdown. Die Hersteller bekommen weniger Teile, die Händler weniger Velos.

Die grösseren Velohändler im FM1-Land können das mit ihrer grossen Lagerkapazität auffangen. Etwa Velos Herzog in Arbon. «Wir haben mehrere hundert E-Bikes an Lager», sagt Inhaber und Verkaufsleiter Roman Rezzoli, «aber individuelle Wünsche sind im Moment schwierig zu erfüllen, oder man braucht einfach viel Geduld».

Ähnlich klingt es bei Bruno Pfiffner von Velo Pfiffner in St.Gallen: «Die Lieferanten bestätigen uns bei speziellen Kundenwünschen teilweise Liefertermine im Jahr 2023.» Solche Reservationen mache er aber nicht, dazu ist der Markt zu instabil. «Es ist möglich, dass ein Hersteller nächstes Jahr aus logistischen Gründen auf ein anderes Modell setzt und das Bestellte gar nicht mehr hergestellt wird», sagt Pfiffner.

Kleinere stehen vor dem Aus

Ein Versorgungsproblem lässt sich bei Velos Herzog in Arbon nicht feststellen. Showroom und Lager sind voll mit E-Bikes. «Die werden uns auch nicht ausgehen», sagt Rezzoli. «Es treffen laufend neue ein. Diese haben wir einfach schon lange bestellt, das haben wir aber laufend gemacht.»

Für kleinere Velohändler kann die momentane Marktsituation aber zur Belastung werden. Vor allem für solche, die nur einen Lieferanten haben. Rezzoli: «Momentan haben wir die paradoxe Situation, dass Velohändler trotz der riesigen Nachfrage ums Überleben kämpfen – weil sie selbst keine Fahrräder mehr geliefert bekommen.»

Den kleineren Händlern bleibe in vielen Fällen nichts anderes übrig, als auf Reparaturen und Unterhalt zu setzen. Diese Entwicklung sei aber nicht neu.

Frust bei der Kundschaft

E-Bikes sind immer noch zu haben, teilweise muss man für sein Wunschvelo aber weite Wege auf sich nehmen. «Manchmal kommen Leute aus der Westschweiz zu uns, weil wir genau noch ein Velo haben, das sie suchen», sagt Pfiffner. Im Gegenzug würden aber viele seiner Kundinnen und Kunden aus diesem Grund auch woanders kaufen.

«Dass wir die genauen Kundenwünsche nicht erfüllen können, führt teilweise zu Frust. Momentan braucht es etwas Flexibilität beim Velokauf. Es gibt genügend Modelle – aber vielleicht nicht genau in der richtigen Farbe.»

Der Markt wird sich normalisieren

Ewig so weitergehen kann es nicht, wird es aber auch nicht. Zum einen werden die Fabriken in Asien die Produktion irgendwann wieder im vollen Umfang aufnehmen können, zum anderen dürfte Europa als Produktionsstandort wieder stärker werden. Die Produktionssicherheit steht für die Industrie im Vordergrund: lieber eine etwas teurere Lieferung als gar keine.

Und auch die Nachfrage nach E-Bikes wird irgendwann zurückgehen. Spätestens dann, wenn nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich neun von zehn Fahrrädern einen elektrischen Antrieb haben. Sorgen machen müssen sich die E-Bike-Händler aber auch nach dem heutigen Peak nicht: Im Gegensatz zu herkömmlichen Drahteseln lässt bei den E-Velos die Leistung irgendwann nach, dann braucht es ein neues.

veröffentlicht: 11. Oktober 2021 05:45
aktualisiert: 11. Oktober 2021 05:45
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