«Weggewiesene können auf dem Roten Platz Zmittag essen»

Die Polizei will eine erneute Eskalation auf dem Roten Platz verhindern. (Bild von Karfreitag)
© Keystone
Rund ein Dutzend Personen haben sich beschwert, nachdem sie am Ostersonntag von der St.Galler Stadtpolizei weggewiesen wurden. Derweilen kursiert bereits der nächste Aufruf für Krawalle in der Stadt.

Nach heftigen Ausschreitungen an den letzten beiden Freitagen griff die Polizei am Sonntag hart durch. Sie wies 500 vorwiegend junge Leute weg, nahm 60 Personen vorübergehend fest – und verhinderte so eine dritte Krawallnacht. Die Leute seien gewarnt worden, lautete die Begründung für das rigorose Vorgehen. «Wir wollten weder Krawallmacher noch Schaulustige in St.Gallen.»

Wer nicht plausibel erklären konnte, was er oder sie (abgesehen vom Gewaltaufruf) in St.Gallen wollte, wurde weggeschickt. Das sorgte bei den Betroffenen und bei einigen Politikern für Kritik, weil damit womöglich auch falsche Personen bestraft wurden. Stadtpräsidentin Maria Pappa stellte sich hinter die vielen Wegweisungen, bat aber jene, die sich ungerecht behandelt fühlen, sich zu melden.

Fragen – oder nicht einverstanden

«Alles in allem haben wir sehr viele positive Rückmeldungen für unser Vorgehen bekommen», sagt Roman Kohler, Mediensprecher der St.Galler Stadtpolizei, auf Anfrage von FM1Today. Es hätten sich – Stand Montagmittag – aber auch rund ein Dutzend Betroffene beziehungsweise deren Eltern beschwert. «Entweder, weil sie Fragen zur Wegweisung haben. Oder weil sie nicht damit einverstanden sind.»

Die Anfragen und Beschwerden werden laut Kohler situativ beurteilt und rasch bearbeitet. «Kann jemand im Nachhinein glaubhaft erläutern, dass er oder sie nicht wegen des Aufrufs in St.Gallen war, wird die Wegweisung unter Umständen aufgehoben.» Was für einen solchen Beweis nötig ist, beantwortet Kohler nicht.

Erste Rekurse beim Kanton

Wie auf der Verfügung festgehalten, können die Wegweisungen binnen 14 Tagen auch schriftlich beim Kanton angefochten werden. «Wir haben die ersten Rekurse erhalten», sagt Hans-Rudolf Arta, Generalsekretär des St.Galler Sicherheits- und Justizdepartements, gegenüber Keystone-SDA. Der Kanton müsse nun prüfen, ob die Wegweisungen den gesetzlichen Voraussetzungen entsprechen – und verhältnismässig waren.

Die Wegweisungen wurden am Sonntag mit der «Gefährdung/Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung infolge Gewaltaufrufe» begründet. Der Sachverhalt wird wie folgt beschrieben: «Anlässlich der Ostern 2021 wurde zu Gewaltakten in der Stadt St.Gallen aufgerufen. Die genannte Person steht im Verdacht, sich an solchen Vorkommnissen aktiv oder passiv (Gafferei) beteiligen zu wollen bzw. beteiligt zu haben.»

Quelle: tvo

Eigentlich verboten, aber...

Aus dem St.Galler Polizeigesetz geht hervor, dass Weggewiesenen untersagt wird, sich während eines Monats innerhalb des Perimeters (Innenstadt/Drei Weieren/ganze Stadt bei Auswärtigen) aufzuhalten. Sprich: Eigentlich dürften sie sich auch nicht mehr alleine auf eine Bank setzen und dort verweilen. «Grundsätzlich sollte es aber kein Problem sein, trotz Wegweisung beispielsweise auf dem Roten Platz seinen Zmittag zu essen», sagt Roman Kohler. Die Polizei kontrolliere dies in der Praxis nicht, auch wenn es gemäss Verfügung untersagt wäre.

«Wir stehen morgens auch nicht da und kontrollieren, ob eine weggewiesene Person in den Supermarkt geht.» Ohnehin dürfe jeder und jede weiterhin zur Schule und zur Arbeit gehen. «Kommt es diesbezüglich zu Problemen, sollen Betroffene auf uns zukommen.»

Gewaltspirale stoppen

Der Stadtpolizei gehe es mit den Wegweisungen darum, die Gewaltspirale zu stoppen, sagt Kohler. «Es sollen nicht immer die gleichen Personen den Gewaltaufrufen folgen und Ausschreitungen starten.» Bereits am Sonntagabend missachteten gemäss Polizeisprecher 25 Personen die Verfügung, einige von ihnen wurden schon am Karfreitag weggewiesen. Sie werden angezeigt.

Ob die Stapo auch künftig auf eine Machtdemonstration durch hunderte Wegweisungen setzt, ist unklar. Diese Woche wollen sich einige Chaoten wohl erneut in der Innenstadt treffen. «Versuchen wir, zehntausend Leute aufzutreiben und die krasseste Party ever zu veranstalten», heisst es in einem Aufruf. Man wolle «eskalieren, wie noch nie, als gäbe es kein Corona».

«Wir haben Kenntnis davon», sagt Kohler. Nicht nur für St.Gallen seien solche Partys geplant. «Wir müssen nun schauen, wie wir den Aufruf einstufen und vor allem, wie wir reagieren werden.» Allerdings sei zu hoffen, dass es sich für die Weggewiesenen wegen drohender Anzeigen gar nicht erst lohne, wieder nach St.Gallen zu kommen.

500 Wegweisungen an einem Abend in der Stadt St.Gallen – mehr als sonst in einem ganzen Jahr – sind laut Rechtsanwalt Thomas Fingerhuth «grundsätzlich nicht normal». «Man muss jetzt anschauen, ob das Vorgehen der Polizei berechtigt war oder nicht.» Grundsätzlich könne man auch Jugendliche wegweisen, die Strafmündigkeit sei gegeben, sagt Fingerhuth. «Es ist eine Frage der Verhältnismässigkeit. Diese muss im Einzelfall geprüft werden.»

Strafrechtlich spielen laut dem Fachanwalt für Strafrecht zwei Komponenten eine Rolle – die Covid-19-Verordnung, die Menschenansammlungen verbietet, und auch die Reaktion der Demonstrantinnen und Demonstranten auf das Vorgehen der Polizei. «Je nachdem, wie die Polizei auftritt, verhält sich auch die Gegenseite aggressiver.»

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Fest steht: Wer unbeteiligt war und mit den Gewaltaufrufen nichts zu tun hatte, kann sich bei der Polizei beschweren. «Am einfachsten ist wohl, wenn sich einige zusammentun und gemeinsam überlegen, wie sie vorgehen wollen, allenfalls können sie sich auch rechtliche Tipps einholen», rät Fingerhuth.

veröffentlicht: 6. April 2021 17:08
aktualisiert: 6. April 2021 18:48
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