Völlig falsches Zeichen: Personalisierte Tickets und Stehplatzverbot nützen nichts

Das Problem ist nicht innerhalb der Stadien.
© Keystone/Archivbild
Die St.Galler Regierung will personalisierte Tickets und ein Stehplatzverbot in Schweizer Fussball- und Eishockeystadien. Das ist keine Antwort auf Fangewalt. Es zeugt von Unkenntnis der Situation und setzt ein völlig falsches Zeichen.

Man könnte fast meinen, der St.Galler Justizchef Fredy Fässler (SP) habe alte Unterlagen seiner Vorgängerin Karin Keller-Sutter (FDP) in einer Schublade gefunden. Der Geist der Repression ist zurück.

Die Forderung nach personalisierten Tickets und einer Sitzplatzpflicht in Schweizer Stadien tönt wie vor 20 Jahren. Und sie wäre schon damals nicht mehr als hilflose Symbolpolitik gewesen.

Selbstverständlich ist Gewalt in jeglicher Form innerhalb und ausserhalb der Stadien zu verurteilen, nicht tolerierbar und muss bestraft werden. Doch dafür gibt es bereits heute genügend Mittel – nicht nur mit dem Hooligankonkordat, das zuweilen sehr grosszügig ausgelegt wird.

Wenn Fässler davon spricht, dass «das Problem seit 15 Jahren» besteht, dann zeugt das lediglich von Unkenntnis. In den 1980er-Jahren kam es regelmässig zu Schlägereien, auch Rassismus war in vielen Kurven weit verbreitet.

Mit dem Wandel vom Hooliganismus zu den Ultras Mitte der 1990er-Jahre änderten sich die Kurven. Sie wurden durchmischter, die Realitäten der Gesellschaft zeichneten sich zunehmend in den Stadien ab.

Innerhalb der Stadien sind gewalttätige Zwischenfälle unterdessen zur Seltenheit geworden. Das zeigt sich auch daran, dass immer mehr Leute die Stadien besuchen, sie fühlen sich dort sicher – wäre das nicht so, wäre der Kybunpark wohl kaum regelmässig so voll.

Wenn die St.Galler Regierung sich nun für personalisierte Tickets und eine Sitzplatzpflicht stark macht, ist das reiner Aktionismus. Die Fans in den Kurven werden sich kaum auf ihrem zugewiesenen Sitzplatz aufhalten, sie werden weiterhin dort stehen, wo es ihnen passt. Zudem sind bereits heute so ziemlich alle Namen dieser Fans den Clubs bekannt, schliesslich besitzt die grosse Mehrheit davon ein Jahresabo.

Diese personalisierten Tickets und die fehlenden Stehplätze nützen bei Ausschreitungen ausserhalb der Stadien genau nichts.

Gefragt sind andere Lösungen. Die Fanarbeiterinnen und Fanarbeiter in der ganzen Schweiz leisten hier wichtige Arbeit, sie müssten vermehrt unterstützt werden. Sie kennen den Puls der Ultras. Sie können frühzeitig den Dialog suchen – mit den Fans, der Politik, der Polizei und den Clubs.

Auch bei der Polizei könnte man ansetzen. Seit langer Zeit klagt diese über Überbelastung, ist konstant unterbesetzt und muss immer mehr Einsätze leisten. In solchen Situationen passieren schneller Fehler, ist die Stimmung auch bei ihnen schneller gereizt. Ob das im Fall von Luzern der Fall war, muss untersucht werden.

Es gibt ganz viele Ansätze, um die Fangewalt einzudämmen. Repression innerhalb der Stadien ist keiner davon. Das ist lediglich Symbolpolitik und billiger Populismus – damit einfach eine weitere Stufe der Eskalation. Und ganz sicher nicht der Weg, den alle Parteien jetzt gehen sollten.

veröffentlicht: 24. Mai 2023 08:22
aktualisiert: 24. Mai 2023 08:22
studio@radiofm1.ch