Tiefe Wahlbeteiligung: «Das Coronavirus beschäftigt mehr als die Wahlen»

Die Wahlbeteiligung im Kanton St.Gallen ist nur einige Tage vor Wahlsonntag sehr tief.
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Am Sonntag werden im Kanton St.Gallen der Kantonsrat und die Regierung neu gewählt – bis jetzt hat aber erst jede vierte Person ihr Couvert abgegeben. Die Einschätzung eines Politexperten erklärt, warum: Das Coronavirus hat bei der Bevölkerung Priorität.

Erst rund ein Viertel der Bevölkerung hat das Wahlcouvert für die Gesamterneuerungswahlen im Kanton St.Gallen abgegeben, zeigt eine Umfrage von FM1Today bei einigen Stadtverwaltungen. Die Wahlbeteiligung von aktuell 22 Prozent in Sargans beispielsweise verwundert sehr: «Verglichen mit den vergangenen Jahren ist das eine extrem tiefe Beteiligung», sagt Urs Becker, Gemeindeschreiber in Sargans. «Bei den letzten Erneuerungswahlen war die Beteiligung zu dieser Zeit zehn Prozent höher.»

«Leute kaufen lieber Ravioli-Büchsen»

Mit einer solch tiefen Wahlbeteiligung hat auch TVO-Politexperte Reto Antenen nicht gerechnet. Er nennt dafür mehrere Gründe – die Ausbreitung des Coronavirus ist einer davon. «Die Leute sorgen sich im Moment mehr, ihre Ravioli-Büchsen und ihre Nudeln im Supermarkt zu kaufen, als darum, wer zukünftig im St.Galler Kantonsrat sitzt», so Antenen. «Hinzu kommt, dass viele Leute die Kantonsratswahl zu kompliziert finden», es gebe zu viele Listen und zu viele Kandidaten.

TVO-Politexperte Reto Antenen im Pfalzkeller
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Schwachen Wahlkampf geführt

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass nationale Wahlen in der Regel beliebter sind. Bei kantonalen Wahlen liegt die Wahlbeteiligung im Schnitt bei 40 Prozent. Bei den nationalen bei rund 50 Prozent.

Zudem sei der Wahlkampf dieses Mal «kein Wahnsinn» gewesen, sagt Antenen. Der Wahlkampf wurde hauptsächlich auf Social Media geführt.

Frauen und Mitte-Grün könnten profitieren

Politexperte Reto Antenen vermutetet, dass Personen, die nur ab und zu an die Urne gehen, diese Wahl auslassen werden. Entscheidend sei nun, welche Parteien wie viele ihrer Stammwähler mobilisieren können. «Das sind vermutlich die Mitte-Grün-Parteien und die Frauen. Ich vermute, dass sie die Profiteure der tiefen Wahlbeteiligung sind.» Im Gesamtresultat erwartet der Politexperte aber keine grossen Veränderungen.

Wahlbeteiligung einiger St.Galler Städte (Stand 4. März):

Sargans 22 Prozent
Rapperswil-Jona 30 Prozent
Stadt St.Gallen 24.6 Prozent
Wil 24.5 Prozent
Wattwil 23 Prozent

Grosse Abstimmung fehlte

Die Vergangenheit hat zudem gezeigt, dass Abstimmungen, die auf Wahlsonntage fallen, einen mobilisierenden Effekt haben. An der Kantonsratswahl 2016 zum Beispiel gingen wegen der Durchsetzungsinitative über 45 Prozent der Stimmberechtigten St.Galler an die Urne. In den Kantonsratswahlen 2004 bis 2012 stieg die Beteiligung von 34.5 auf 37.6 Prozent leicht an.

veröffentlicht: 4. März 2020 19:02
aktualisiert: 4. März 2020 19:02
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