Ostschweiz
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Neue Jagdverordnung erlaubt Abschuss von Biber: Warum gibt es Konflikte mit dem Nager?

Zwischen Schutz und Abschuss – warum der Biber zum Problem wird

Der Biber ist wichtig für die Schweizer Biodiversität – aber sorgt auch für Konfliktpotenzial.
© Keystone
Der Biber ist nicht nur «herzig», sondern auch gut für die Biodiversität von Schweizer Gewässern, deshalb war er auch lange geschützt. Nun soll er wieder geschossen werden dürfen – aber warum?

Der Biber ist insofern eine spezielle Art, als dass er die Fähigkeit besitzt, sich seinen Lebensraum nach seinen Bedürfnissen komplett selbst gestalten zu können. Dies hat erwiesenermassen einen sehr grossen ökologischen Nutzen, sagt Michael Vogel, der Jagd- und Fischereiverwaltung Thurgau: «Aber in unserer intensiv genutzten Kulturlandschaft kann diese Fähigkeit als Kehrseite der Medaille auch Konflikte verursachen.»

Erst kürzlich zeigte eine vom Bund in Auftrag gegebene Studie, dass Biber diese Artenvielfalt sogar noch deutlich mehr steigern, als man gedacht hatte. Es stellte sich heraus, dass in Biberrevieren eine bis zu 6-mal grössere Artenvielfalt herrscht als im gleichen Gewässer ohne Bibereinfluss.

Konfliktpunkt Landwirtschaftsschäden

Konflikte entstehen nämlich durch Schäden, welche der Biber verursacht. Es gibt verschiedene Arten von Schäden, einerseits Schäden an der Infrastruktur und andererseits Schäden in der Land- und Forstwirtschaft. Ein süsser Klassiker aus der Thurgauer Landwirtschaft: «Der Biber frisst sehr gerne Zuckerrüben.»

Finanziell bedeutsamer seien aber Schäden an Obstkulturen: «Wenn der Biber einen Obstbaum fällt, dann ist der Ausfall dieses Baums natürlich erheblicher als bei einer einjährigen Ackerkultur.»

Biber können aber nicht nur durchs Fressen Schäden in der Landwirtschaft verursachen. Auch wenn sie beispielsweise landwirtschaftliche Drainagesysteme unter Wasser stellen, wodurch das Wasser nicht abfliessen kann, entstehen Ausfälle aufgrund von Vernässung.

«Anzahlmässig am häufigsten sind sicher klassische Wildtierschäden an Landwirtschaftskulturen oder Wald», so Vogel. Darauf folgen Schäden an Infrastrukturen wie Einstürze von Wegen und Strassen aufgrund der Untergrabung durch den Biber für seinen Bau.

Und weil der Biber eben solche Schäden anrichtet, befindet sich aktuell eine neue Jagdverordnung von Albert Rösti in der Vernehmlassung. Bei Annahme dieser Verordnung könnte der Biber in gewissen Fällen geschossen werden.

30'000 Franken Schaden

Hier muss ebenfalls in Infrastrukturschäden und klassische Wildschäden an Kulturen und Wald unterschieden werden. Gemäss Vogel entstehen je Kategorie zirka 20'000 bis 30'000 Franken, wobei es bei der Landwirtschaft eher etwas weniger ist.

Auch wenn der Biber so ziemlich der Einzige ist, der im Kanton Thurgau Schäden an der Infrastruktur verursacht, hat er eine sehr viel kostspieligere Kollegin: die Wildsau. Diese verursacht jährlich Kulturschäden von 300'000 bis 400'000 Franken allein im Thurgau.

Biber-Hochburg Thurgau

Im Bereich der Thur zwischen Frauenfeld und Pfyn wohnen nicht nur die meisten Biber im Kanton – es ist auch eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Schweiz. Etwa 800 Biber leben gemäss Vogel im Kanton Thurgau. In der ganzen Schweiz waren es bei der letzten Erhebung 2022 knapp 5000 Tiere.

Zum Vergleich: Im Kanton St.Gallen lebten 2022 nur etwa halb so viele Biber wie im Thurgau, und zwar zirka 425. Gemäss Nathan Rudin vom Amt für Jagd und Fischerei St.Gallen, sind diese grösstenteils in den flacheren Regionen angesiedelt, vor allem im Rheintal.

Auf dieser Karte sieht man die Biber-Revierdichte der Schweiz: je dunkler die Flächen, desto dichter die Biberpopulation.

© Biberfachstelle und Fornat AG

So lebt der Biber

Auch in den anderen Ostschweizer Kantonen Graubünden und Appenzell Innerrhoden und Ausserrhoden hat es vergleichsweise wenig Biber. Dies liegt auch daran, dass diese Gebiete, weniger geeignete Lebensräume für die Nager bieten.

«Grundsätzlich muss der Biber ein Gewässer haben, dass nicht steil ist. Also ein Gefälle von maximal drei Prozent», sagt Michael Vogel. Das liegt daran, dass das Hochwasser sonst zu intensiv wäre, als dass er sich langfristig dort niederlassen könnte. Ausserdem ist natürlich auch das Nahrungsangebot, welches ausschliesslich im Winter knapp werden kann, wichtig.

Biber ist ökologisch einzigartig

Auch wenn der Biber Schäden anrichtet, darf der Aspekt der Biodiversität für Vogel nicht ausser Acht gelassen werden: «Der Biber ist ökologisch gesehen eine absolute Schlüsselart und die wirtschaftlichen Schäden sind ökologisch betrachtet Potenzial.» Aus dieser Perspektive sollte man Biber, wo immer möglich wirken lassen, weil sie dort viel für die Biodiversität bewirken: «Er schafft kostenfreie Revitalisierung.»

Ein weiteres Stichwort sind auch die meteorologischen Bedingungen vom 21. Jahrhundert. Damit meint Vogel die Zunahme extreme Wetterereignisse, wie starke Niederschläge oder lange Trockenzeiten. Beide kann der Biber nämlich puffern.

Durch seine Dämme kann er Hochwasserspitzen dämpfen und Wasser zurückhalten für trockenere Monate. Er hebt also den Grundwasserspiegel an. Laut Vogel gibt es auch Länder, die aus eben diesem Grund gezielt Biber aussetzen: «Ich glaube, mit den meteorologischen Veränderungen, mit denen wir konfrontiert werden, darf man diesen Aspekt auch nicht zu wenig gewichten.»

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Linda Hans
veröffentlicht: 25. Mai 2024 07:34
aktualisiert: 25. Mai 2024 07:34
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