«Können nichts gewinnen» – warum der Thurgau bei der Ostschweizer Spitalstrategie aussteigt
Eine interkantonale Zusammenarbeit, wie es sie in der Schweiz noch nicht gibt: Dieses Vorhaben ist mit der Spitalstrategie Ostschweiz unter dem Strich geglückt, aber irgendwie auch nicht. Denn die Zusammenarbeit dreier Kantone in diesem Bereich ist zwar neu – bleibt aber weit unter den Möglichkeiten zurück. Das anvisierte «gemeinsame Zeichen an die Eidgenossenschaft» ist allenfalls noch ein Wegweiser.
Dies weil Graubünden, Glarus und auch der Thurgau nicht mitziehen und sich aus dem gemeinsamen Projekt verabschiedet haben. Die Zusammenarbeit zwischen den beiden Appenzell und St.Gallen stellt damit so etwas wie die Minimalvariante der Spitalversorgung Modell Ost dar.
Thurgau orientiert sich nach Westen
Während sich der Rückzug von Graubünden und Glarus scheinbar auf rein sachliches Ermessen zurückführen lässt – Graubünden ist gegen die Anwendung von Mindestfallzahlen für Spitäler, Glarus ist bei der Versorgung an Graubünden gebunden – ist das beim Thurgau nicht auf den ersten Blick ersichtlich.
Der Thurgau erachte den Perimeter des Projekts mit nur vier Kantonen als nicht zweckmässig, heisst es in der Medienmitteilung. Tatsächlich hätte der Thurgau wohl mehr zu verlieren als zu gewinnen. «In der grösseren Konstellation wäre es natürlich eine ganz andere Situation gewesen», sagt der Thurgauer Gesundheitschef Urs Martin, «so ist das aber eine Übung, die sehr nach St.Gallen hin orientiert ist».
Im Thurgau gebe es allerdings auch den Blick auf die Nachbarkantone Schaffhausen und Zürich, welchen man ohne den grösseren Kontext (mit Graubünden und Glarus) nicht aufgeben wolle.
Die Thurgauer haben es nicht nötig
Das Thurgauer Gesundheitssystem ist fest in privater Hand – und eines der wenigen, das profitabel wirtschaften kann. Die höheren Tarife in St.Gallen sind für die Thurgauer nicht attraktiv – und der grössere Nachbar würde wohl erst noch den Ton angeben.
«In dieser Konstellation wäre die Zusammenarbeit für uns sicher nicht von Vorteil gewesen», sagt Urs Martin. In der Akutsomatik sei der Thurgau sehr gut aufgestellt. Hätte man hingegen auch die Rehabilitation und die Psychiatrie angeschaut, sehe es vielleicht anders aus, sagt Martin, jedoch: «Bei der Akutsomatik können wir mit so einer Planung fast nichts gewinnen.»
Eine Zusammenarbeit in der Reha und der Psychologie wollen die verbleibenden Kantone in Zukunft überprüfen. Ob der Thurgau dann vielleicht einsteigen will, lässt Martin offen. Für den Moment bestehe aber kein Interesse.
Die Hälfte bleibt – immer noch
Am Ende bleiben drei Kantone, die zusammen die Spitalstrategie weiter verfolgen wollen. Die zusammen Personal umverteilen und Standorte spezialisieren wollen, sparen und gegen den Fachkräftemangel ankämpfen.
Das äussert sich bei den Verantwortlichen in Zweckoptimismus. Geplant war eine gemeinsame Gesundheitsversorgung für 1,1 Millionen Menschen – immerhin bleibe ihnen davon die Hälfte. Die Hälfte der Kantone, der Bevölkerungsanzahl, der Fälle.
Nur: aus St.Galler Sicht war das schon immer so. Zumindest beinahe. Der Kanton stellt mit mehr als 500'000 Einwohnern rund 87 Prozent der potenziellen Patienten und Patientinnen. Trotzdem dürfte die Zusammenarbeit zwischen den Appenzellern und St.Gallen sinnvoll sein – dafür genügt der Blick auf die Karte.
Tür bleibt offen
Das Appenzellerland bildet mit dem Zusammenschluss immerhin nicht mehr ein Loch innerhalb des St.Galler Netzes – sondern kann dieses möglicherweise sinnvoll ergänzen. Gar von einer grossen Chance spricht der Ausserrhoder Regierungsrat Yves Noel Balmer – etwa für das Spital Herisau, welches St.Gallen bei der Grundversorgung entlasten könne.
Zumal den Ostschweizerinnen und Ostschweizern die Kantonsgrenzen bei der Behandlung sowieso keine grosse Rolle spielt, dies habe der erarbeitete Versorgungsbericht gezeigt.
Trotzdem wirkt die nun präsentierte Zusammenarbeit etwas schöngeredet. Zwar handelt es sich um Pionierarbeit, deren Durchschlagskraft ist jedoch beschränkt. «Besser als nichts», so drückt es der St.Galler Gesundheitschef Bruno Damann aus, «wir machen das jetzt mal zu dritt und vielleicht merken die anderen, dass es eine gute Sache ist».
Die Tür soll also offen bleiben – obwohl sie von Graubünden, Glarus und dem Thurgau zugeschlagen wurde.