Junge Grüne St.Gallen wollen Gratis-Tests für Geschlechtskrankheiten – Expertin ordnet ein
In St.Gallen sammeln die Jungen Grünen für eine Initiative für Gratis-Tests für sexuell übertragbare Krankheiten. Diese sollen für Menschen bis 30 Jahren und solchen mit Kulturlegi kostenlos werden. Simone Dos Santos, Geschäftsleiterin der Fachstelle für Aids- und Sexualfragen, über den möglichen Nutzen dieses Vorschlags.
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Bis vor wenigen Jahren lautete das Credo noch: Sex nur mit Kondom, dann ist man geschützt. In letzter Zeit scheint es da aber ein Umdenken gegeben zu haben. Wieso?
Simone Dos Santos: Das war vor allem in der HIV-Prävention ein wichtiges Mittel zur Verhinderung von Ansteckungen. In den vergangenen Jahren gab es aber einen Anstieg bei der Übertragung von anderen sexuell übertragbaren Infektionen, sogenannten STI. Bei diesen bietet ein Kondom keinen ausreichenden Schutz. Eine Ansteckung kann bei STI zum Beispiel auch beim Petting stattfinden. Deshalb sind Aufklärungsangebote und eine regelmässige Testroutine so wichtig.
Dann steht die die Fachstelle für Aids- und Sexualfragen St.Gallen der Idee positiv gegenüber, mit Gratis-Tests die sexuelle Gesundheit junger Menschen durch kostenlose Angebote zu fördern?
Regelmässige Tests sind die einzige aktive Schutzstrategie, die man für sich wählen kann. Gerade weil Kondome nur teilweise vor STI schützen und diese teilweise symptomlos verlaufen, kann man ungetestet nicht wissen, ob man mit einer sexuell übertragbaren Krankheit infiziert ist – und gibt sie dann beim Sex eventuell weiter. Dass Infektionen lange Zeit oder gänzlich ohne Symptome verlaufen, heisst übrigens nicht, dass sie zwingend ohne Folgen bleiben. Chlamydien können beispielsweise zu Unfruchtbarkeit führen.
Wie könnten Gratis-Tests da weiterhelfen?
Wir erleben bei uns auf der Fachstelle, dass Jugendlichen und jungen Erwachsenen teilweise noch etwas das Bewusstsein für ihre eigene sexuelle Gesundheit fehlt. Kostenlose Tests wären ein niederschwelliges Mittel, um sexuell übertragbare Krankheiten besser zu entdecken und Ansteckungen zu verhindern. Sie würden aber vor allem auch ermöglichen, mit den jungen Menschen ins Gespräch zu kommen, mit ihnen herauszufinden, welchen Schutz sie für ein sexuell selbst bestimmtes und gesundes Leben benötigen.
Ist denn fehlendes Bewusstsein für sexuelle Gesundheit nur ein Problem von jungen Menschen, das Erwachsene über 30 Jahren gar nicht betrifft?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen kommen aber neben dem fehlenden Bewusstsein oftmals finanzielle Hürden hinzu, die verhindern, dass sie sich testen lassen. Wenn beispielsweise bei Studierenden die Eltern noch die Krankenkasse bezahlen, wollen diese jungen Leute eher nicht, dass alle drei Monate ein Test auf sexuelle Krankheiten in der Abrechnung erscheint.
Welche weiteren Gründe führen dazu, dass noch zu wenig getestet wird und die Zahlen der Ansteckungen mit sexuell übertragbaren Krankheiten aktuell schweizweit steigen?
Scham spielt beim Thema Sex immer noch eine grosse Rolle. Es ging in den letzten Jahren aber ein Ruck durch die Gesellschaft. Die Menschen sind offener geworden in der Frage, wie Beziehungen und Sexualität gelebt werden können. Trotzdem haftet dem Thema immer noch ein gewisses Tabu an, vor allem wenn es um STI geht. Wer eine sexuell übertragbare Krankheit hat, spricht immer noch nicht gerne darüber.
Hat das auch damit zu tun, dass sich das Bild durchgesetzt hat, dass besonders während der HIV-Welle vermittelt wurde: Dass infizierte Menschen ausgegrenzt wurden und ihnen aufgrund ihrer Ansteckung Schuldgefühle eingeredet wurden?
Ja, solche Tendenzen sieht man auch noch heute. Menschen mit einer STI fühlen sich schuldig. Dabei kann jede sexuell aktive Person betroffen sein, egal ob nun verhütet wird oder nicht. Das hat auch mit fehlendem Wissen zu tun. Es ist immer noch zu wenig in unseren Köpfen, dass sich die Verantwortung für unsere Gesundheit nicht auf eine gesunde Ernährung und sportliche Betätigungen beschränkt, sondern eben auch die sexuelle Gesundheit dazugehört.
Gibt es Hinweise, dass die Möglichkeit von Gratis-Tests tatsächlich ein Bedürfnis von jungen Erwachsenen abdeckt?
Ja, in Zürich läuft aktuell ein Pilotprojekt. Die Testmöglichkeiten sind dort sehr gefragt. Besonders die Möglichkeit, sich mit einer Fachperson über Risiken des eigenen Sexualverhaltens auszutauschen, kommen dort sehr gut an.
Hätte man in der Stadt St.Gallen denn überhaupt die Kapazitäten, zusätzliche Tests durchzuführen, wenn bei einer Annahme der Initiative die Testzahlen plötzlich steigen würden?
Die Fachpersonen sowie medizinisches Personal wären vorhanden. Aber gewisse Strukturen müssten erst noch geschaffen werden. In Zürich musste etwa zusätzliches Personal eingestellt werden. In St.Gallen könnten wir bereits vom Pilotprojekt in Zürich und den Erfahrungen, die dabei gemacht wurden, profitieren.