Der Windrädlimann

Hans Luder und die bunten Windrädli sind auf dem Ricken nicht zu übersehen. Seit rund 20 Jahren lebt der 61-Jährige für Windräder – und sein Stand auf dem Ricken hat mittlerweile schon fast eine eigene Fangemeinde.

Es dreht und leuchtet. Eine Robbe lächelt zwischen regenbogenfarbigen Fahnen hindurch, ein irischer, rotbärtiger Kobold bewegt seine langen Arme im Wind. Ein stoffiges, rotes Auto thront über dem Meer von Windspielen.

Eine Robbe ist zwischen den Fahnen auszumachen.

© FM1Today/Lara Abderhalden

In Mitten von Windrädern, Windspielen und sich drehenden Figuren ist ein Strohhut auszumachen. Zwei braune Hände versuchen die Schleifen eines roten Vogels von den Tentakeln einer weissen Qualle zu trennen. Ein schwieriges Unterfangen – für Hans Luder aber kein Problem. Der fast 62-Jährige ist sich gewohnt, Ordnung ins Chaos zu bringen. Genau wie seine Windspiele strahlt der braungebrannte Zürcher Lebensfreude aus. Er lächelt und begrüsst die Kunden, die mit dem Auto über den Ricken fahren und nicht anders können, als auf dem grossen Parkplatz anzuhalten und sich umzusehen.

Hans Luder berät einen Kunden bei seinem Stand auf dem Ricken.

© FM1Today/Lara Abderhalden

«Zwei Stunden dauert der Aufbau jeden Morgen»

«Einige sind schon zehnmal an meinem Stand vorbei gefahren und denken sich beim elften Mal, dass sie jetzt doch einmal anhalten müssen», sagt der gelernte Pöstler. Er widmet sich einem Paar zu, das sich für ein metallenes Windrad entschieden hat und dieses sogleich in ihrem Auto verstaut.

Seit zwei Jahren hat Hans Luder den Platz auf dem Ricken gemietet und kommt, wann immer er will: «Oft schaue ich mir am Morgen den Wetterbericht an. Wenn es schön ist, dann fahre ich auf den Ricken.» Rund zwei Stunden dauert es, bis Hans Luder die einzelnen Windräder aus den Schachteln gepackt und am zeltartigen, metallenen Konstrukt aufgehängt hat. «Am Abend bin ich dann wiederum rund eineinhalb Stunden damit beschäftigt, die Windspiele einzupacken.»

Auch schon wurden die Windspiele durch einen Sturm weg gefegt.

© FM1Today/Lara Abderhalden

«Leute fragten im Restaurant, wann ich wieder hier bin»

Er erzählt von einem besonders windigen Tag im vergangenen Jahr: «Da hat es mir den ganzen Stand mitsamt Windrädern das Port herunter gewindet.» Fünf Stunden habe er gebraucht, bis er alle Windräder eingesammelt hatte. «Am nächsten Tag musste ich einen neuen Stand kaufen.»

Im Allgemeinen sind die Erfahrungen, die Hans Luder sammelt, aber angenehme: «Die Kunden sind sehr nett und ich liebe es, wenn ich sehe, wie ihre Augen glänzen.» Einige würden nur anhalten, weil sie von den Kindern dazu aufgefordert werden. «Ich habe auch schon erlebt, dass Kunden im Restaurant nebenan fragten, wann ich wieder hier bin.» Die Leute kennen den Windrädlimann. «Vielleicht kann man sagen, ich habe eine kleine Fangemeinde.»

Den Windrädli-Stand von Hans Luder sieht man schon von Weitem.

© FM1Today/Lara Abderhalden

Vom Pöstler, zum Tüftler zum Artisten

Mit dem Verkauf der Windräder hat Hans Luder vor rund 20 Jahren begonnen. Zuvor war der 61-Jährige im Zirkusgeschäft und hat selbst in einem Kinderzirkus in Zürich mitgespielt. «Ich habe auch Zirkuskurse für Kinder gegeben. Beispielsweise im Seiltanzen, Jonglieren oder Einrad fahren.» Beigebracht hat er sich die Dinge selbst. «Irgendwo her mussten wir das Material haben, so sind ein Freund und ich in den Verkauf von Zirkusartikeln gerutscht.» Der Hype rund um Jonglierartikel oder Trapeze sei aber irgenwann vorbei gewesen und die Idee mit den Windspielen entstanden: «Ich kaufte mir für 30'000 Franken Windspiele und seither läuft das Geschäft sehr gut.»

Vor seinem Engagement im Zirkus war er Pöstler. Zwischendurch hat er eine Zeit lang Tofu hergestellt. In einer alten, gemieteten Waschküche. Als Grundlage diente ihm ein Buch aus Amerika. «Ich war einer der ersten, der in der Schweiz Tofu produzierte, noch vor Coop und der Mirgos. Irgendwann wurde es mir aber zu langweilig».

Zurück auf den Ricken: Anders als bei anderen Marktfahrern läuft es bei Luder in diesem Jahr gut. Er hat gar profitiert vom Lockdown. «Ich habe den Gartenhype miterlebt. Viele wollten im Frühling ihren Garten neu gestalten und haben ein Windrädli gekauft.» Normalerweise ist der ehemalige Artist an vielen Märkten unterwegs, weil die meisten davon ausfallen, verkauft er dieses Jahr hauptsächlich auf dem Ricken. Das sei ausserdem praktisch, weil er mit seiner Familie in Oetwil am See, rund eine halbe Stunde vom Ricken entfernt wohnt.

«Es ist wichtig, mit der Zeit zu gehen»

Ein Mann in einem gelben Smart hält vor dem Stand. Er lässt die Scheiben runter, schaut sich um. Schliesslich steigt er aus, schlendert durch die wehenden Fahnen und entscheidet sich für ein klassisches, regenbogenfarbenes Windrad. Hans Luder verschwindet in seinem Lastwagen und kommt mit einem braunen Karton wieder zum Vorschein. «Die Windräder beziehe ich von einem Händler aus Europa.» Immer wieder erweitert er das Sortiment und passt es den Bedürfnissen der Kunden an.

Immer wieder erweitert Hans Luder sein Sortiment.

© FM1Today/Lara Abderhalden

«Es ist wichtig, mit der Zeit zu gehen. Viele Marktfahrer sind veraltet, lassen sich eher weniger auf Veränderungen ein», sagt Luder. Beim 61-Jährigen ist es gar möglich, per Twint oder Kreditkarte zu zahlen. Als nächsten Schritt denkt der Verkäufer an eine Webseite. «Das hat aber Zeit. Solange ich noch die Kraft habe, den Stand am Morgen auf und am Abend abzubauen, mache ich das. Wenn man gerne arbeitet, macht einem der Aufwand weniger aus.»

Erneut haben sich die Tentakel der Qualle verfangen. Dieses Mal mit den bunten Schleifen eines Fisches, der mit geöffnetem Mund neben einem Papagei hängt. Ein buntes, drehendes Wirrwarr, das Hans Luder mit seiner gelassenen Art zu bändigen weiss und schon flattern Qualle und Fisch wieder in ihren gewohnten Bahnen.

veröffentlicht: 25. August 2020 05:51
aktualisiert: 25. August 2020 07:49
studio@radiofm1.ch