«Der Mammutbaum hat mir gezeigt, wie lange ich schon da bin»

Quelle: tvo

35 Jahre lang führte der Wattwiler Hanspeter Schumacher den Botanischen Garten in St.Gallen. Ende Januar wird er pensioniert. Was bleibt, sind viele schöne Erinnerungen – es gab keinen Tag, an dem er nicht gerne zur Arbeit ging.

Seine Füsse zeichnen schwarze Abdrücke in den frischen Schnee, die Schlüssel klimpern in seiner Hand und die Gläser im schwarzen Brillengestell verfärben sich milchig weiss aufgrund der Maske, die zwischen Brille und Nase eingeklemmt ist. Hanspeter Schumacher steuert in den Innenhof des Botanischen Gartens in St.Gallen. Und bleibt zwischen Tropenhaus, Schulungsraum und verschiedenen anderen Hallen, die voll sind mit rund 900 Pflanzen, stehen.

«Das Tropenhaus war der grösste Lupf in meiner Karriere»

«Was wollen Sie gerne wissen?», fragt der bald 65-Jährige, der am Freitag nach 35 Jahren die Leitung des Botanischen Gartens an ein Nachfolger-Paar abgibt. Auf meine Frage, ob ich eine kleine Führung haben könne, reagiert der studierte Landschaftsarchitekt sichtlich erfreut: «Klar.»

Er führt mich durch die neuen Schulungsräume, den «grünen Pavillon» – ein Gebäude aus hellem Holz und grossen Fenstern, es wurde vergangenen Juni eröffnet. Hier würden Referate, Schulungen oder Botanik-Kurse stattfinden. «Das war eines meiner letzten Herzensprojekte.»

Der neue «grüne Pavillon» im Botanischen Garten in St.Gallen. Er wurde im Juni eröffnet.

© FM1Today/Lara Abderhalden

Seine bedeutendste Amtshandlung war aber eine andere: Der Neubau des Tropenhauses, das 1998 eröffnet wurde. «Das war der grösste Lupf in meiner Karriere. Das alte, 1914 entstandene Tropenhaus war in ganz schlechtem Zustand.»

Vergiftungs-Gerücht nach Klassenbesuch

Hanspeter Schumacher schliesst die Tür zum Tropenhaus auf und ein Schwall warmer Luft bläst uns ins Gesicht. Wir befinden uns mitten im Dschungel. So fühlt es sich jedenfalls an. Der Botanikexperte deutet auf kleine grünen Bohnen, die dicht beieinander an einem Strang in einem dunkelgrünen Gebüsch liegen. «Das ist Kaffee. Die Früchte kann man auch roh essen. Schmecken süss. Und dort», er deutet auf gelbe längliche Früchte in einer hohen Baumkrone, «sind Papaya-Früchte. Die schmecken gut, sind aber wesentlich kleiner als jene aus den Tropen.»

Im Dunkeln verborgen: Kleine Kaffee-Früchte, deren Kern die Kaffeebohne bildet.

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Wir schlendern an bodenlangen Sträuchern, deckenhohen Palmen oder kunterbunten Blüten vorbei und immer wieder fällt Hanspeter Schumacher eine Geschichte ein. Beispielsweise als eine Mutter eines Schülers befürchtete, Hanspeter Schumacher hätte ihr Kind vergiftet, weil er ihnen Beeren gab, von denen die Mutter glaubte, sie seien giftig. Oder wie die Kinder jeweils etwas in die fleischfressenden Pflanzen legen durften.

«Das ist die kleinste Pflanze der Welt»

«Daran haben Kinder auch grosse Freude.» Der Wattwiler fährt mit dem Finger über eine Art kleinen Farn. Die winzigen Blätter beginnen, sich zusammenzuziehen, als würden sie nach dem Finger des gelernten Landschaftsgärtners greifen.

Dieser ist mit seinen Händen aber bereits bei der nächsten Pflanze – diese befindet sich im Wasser und bedecken den Finger von Hanspeter Schumacher mit winzigen grünen Punkten: «Das ist die kleinste Pflanze der Welt.»

Die grünen Punkte auf dem Finger sind die kleinsten Pflanzen der Welt.

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Nicht nur die kleinen auch die grossen Schönheiten im Botanischen Garten sind eindrückliche Gewächse. So wird ein pflanzliches Hirschgeweih präsentiert oder Chilis in Form von kleinen Glöckchen. Hanspeter Schumacher ist mindestens genauso begeistert wie die Gäste, die er vor der Corona-Schliessung regelmässig durch das grüne Paradies führte.

Chili in Form von Glöckchen.

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15 Meter hoher Mammutbaum

«Es ist jedes Mal eine Freude, wenn man etwas blühen sieht. Besonders begleitet hat mich ein Mammutbaum, den wird 1986 ansäten und den wir im Tropenhaus 1998 pflanzen. Dieser Mammutbaum ist nun 15 Meter hoch und hat mir immer gezeigt, wie lange ich schon hier bin.»

Ein Mammutbaum erinnert Hanspeter Schumacher, wie lange er schon im Botanischen Garten arbeitet.

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Am 6. Januar 1986 trat Hanspeter Schumacher die Stelle als Leiter des Botanischen Gartens an: «Es ist schon komisch, wenn ich mir jetzt vorstelle, dass ich bald Rentner bin. Wenn ich aber noch zehn Jahre weiter arbeiten müsste, wäre ich trauriger.» Sich ganz von der Botanik abwenden, wird er nicht: «Ich werde weiterhin als Referent des Vereins Botanischer Zirkel ab und zu in den Botanischen Garten kommen. Ausserdem bin ich in einer Gruppe, die seltenen Pflanzen nachgeht und diese schützt.»

Der Botanische Garten ist auch eine Bibliothek, in der sich Botaniker weiterbilden können.

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«Werde mich mehr um den eigenen Garten kümmern»

Und er hat noch seinen eigenen Garten in Wattwil, den er während seiner Zeit beim Botanischen Garten ab und zu vernachlässigte: «Den Gemüsegarten werde ich intensiver pflegen, der Rasen kommt weg und stattdessen pflanze ich dort einheimische Blütenpflanzen, um der Insektenwelt etwas zu bieten.»

Es ist eines der letzten Male, in denen Hanspeter Schumacher den Schlüssel ins Schloss des Tropenhauses steckt und abschliesset. «Es hat keinen Tag gegeben, an dem ich nicht gerne hier her gekommen bin. Es war ein Glücksfall.»

Die Spuren im Schnee verschwinden langsam unter den Flocken, die vom Himmel fallen. Zwei neue Spuren haben sich gebildet. «Es geht weiter im Botanischen Garten mit zwei sehr guten Nachfolgern – das war mir sehr wichtig.»

Hanspeter Schumacher mag es, wenn es blüht.

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veröffentlicht: 15. Januar 2021 07:33
aktualisiert: 15. Januar 2021 19:16
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