Das Klanghaus, der Toggenburger Blutegel

Am Ufer des Schwendisees vor den Churfirsten soll das Klanghaus entstehen.
© Tagblatt/Dolores Rupa
Von meinem Kinderzimmer aus sehe ich die sieben Churfirsten und meine Mutter bäckt den besten Schlorziflade in der Region. Ich liebe das Toggenburg und dessen Zickereien um alles und jeden. Aktueller Streitpunkt: Das Klanghaus. Ein Kommentar.

«Im Wasser lebender Ringelwurm mit zwei Saugnäpfen, der Blut aus Blutgefässen menschlicher oder tierischer Körper heraussaugt», das ist die Definition eines Blutegels. Und so wird bei manchen Kritikern auch das Klanghaus verstanden: Ein kulturelles Objekt, das Geld aus den Taschen der Einwohner saugt. Sie würden das Klanghaus-Projekt am liebsten beerdigen und vielleicht stattdessen einen Blutegel-Nationalpark bauen lassen. Der geplante Klangpalast stösst wirklich nicht bei allen auf offene Ohren.

Bauernhof an der Zürcher Bahnhofstrasse

Kritiker des Projekts sehen die finanziellen und kulturellen Mittel des Kantons St.Gallen nicht sinnvoll eingesetzt. Ein grosses, luxuriöses Bauobjekt an einen naturbelassenen Ort hin zu pflastern, ist für sie eine Geld- und vor allem Naturverschwendung. Jodeln sei auch draussen möglich, dazu brauche es keine pompöse Halle, die sowieso nur schwierig zu erreichen sei. Sollte das Klanghaus sich tatsächlich in einen Touristenmagneten verwandeln, müsse es auch gut erreichbar sein, dies sei ohne zusätzliche öffentliche Verkehrsmittel nicht möglich. Erreicht werden, kann der Schwendisee mit dem Auto oder zu Fuss, auf dem Klang- oder sonstigen Wanderwegen. Ein zusätzlicher Bus sei keine Option, da dadurch die Natur stärker belastet würde.

Ein architektonisch einzigartiges Klanghaus im Toggenburg erscheint Kritikern wie ein heruntergekommener alter Bauernhof mitten an der Zürcher Bahnhofstrasse. Es passe nicht ins Bild, sowohl visuell als auch aus Image bedingten Gründen. Das Toggenburg soll Touristen anlocken, nur eben mit seiner naturgegebenen Schönheit und nicht mit stilvollen, modernen Kunstbauten.

Toggenburg = Klang

Befürworter des Projekts preisen das Klanghaus als Treffpunkt nationaler aber auch internationaler Künstler an. Der Klang am Schwendisee sei durch die Mulde rund um den kleinen See, mit den breiten Bergrücken Hinterrugg und Chäserrug, einfach perfekt. Pefekter Schall und eine Chance für das Toggenburg. Eine Chance, sich zu öffnen und vom ganzen Kanton, der ganzen Schweiz, ja vielleicht sogar der ganzen Welt, gehört zu werden.

Auch ländliche Regionen müssen sich entwickeln und können nicht einfach stagnieren. Auch Traditionen hätten es verdient, durch ein Alphorn und ein akustisch phänomenales Gebäude in die Welt hinaus posaunt zu werden. Es sollen folgende Assoziationen entstehen. Toggenburg = Klang, Klangweg, Klangschmiede, Klangfestival und jetzt Klanghaus. Ein Konzept, das Tradition und Moderne verbindet. Dass den Grossvater aus Nesslau, der mit seinem Enkel wandern geht, fasziniert, aber auch die Familie aus China, die in der Schweiz Ferien macht. Es ist, gemäss Befürworter, eine Investition für Investitionen. Hat sich das Klanghaus erst einmal einen Namen gemacht, wandert das «ausgesogene» Geld wiederum in die Taschen der Einwohner. Es sei ein Bauernhof mit Stil, dessen Einzigartigkeit die Besucherinnen und Besucher nicht nur «gwundrig» macht, sondern auch verweilen lässt.

Musik ist Lebensqualität

Es gibt kein richtig oder falsch bei diesem Thema. Es ist eher eine individuelle Vorliebe und lässt sich meiner Meinung nach mit jener zu Blutegeln vergleichen. Es gibt Menschen die schätzen Blutegel als kleines medizinisches Wunder, schwören auf Blutegel-Kuren und würden die Tiere am liebsten jede Nacht mit unter die Bettdecke nehmen, damit sie jedes Weh-Wehchen beseitigen können. Dann gibt es diejenigen, die Blutegel einfach nur abstossend, hässlich und nutzlos finden. Niemals würden sie diesen glitschig braunen Wurm auf die perfekt rasierten Waden setzen.

Ich persönlich hasse Blutegel. Dennoch verabscheue ich Menschen nicht, die sich solche braunen Viecher auf den Arm setzen. Sollen sie es tun. Ich muss ja nicht und genau diese Meinung vertrete ich auch beim Thema Klanghaus.

Das Toggenburg hat klangtechnisch so viel zu bieten. Das höre ich jeden Freitagabend, wenn bei uns im Hause musiziert wird. Beobachte ich Menschen, die bei einem Zäuerli feuchte Augen bekommen, bin ich fasziniert. Nicht weil ich selbst besonders musikalisch bin, sondern weil es doch das schönste auf der Welt ist, wenn Menschen begeistert sind von einer Sache. Musik macht für viele Menschen Lebensqualität aus und einen Raum zu haben, in dem diese Musik, diese Schönheit und auch Einzigartigkeit des Toggenburgs noch besser zur Geltung kommen, ist doch das Schönste, was sich eine Region wünschen kann.

Es geht bei diesem Projekt nicht primär um Kultur, ein Macht- oder Prestigesymbol, sondern um die Vermittlung der Freude an der Musik und der Heimat. Ein Ort wird auch gehört oder mit Klängen assoziert. Ein Stück Toggenburg wird in die Welt getragen und wer das ablehnt, der leugnet ein Stück weit auch einen Teil seiner Herkunft, einen Teil der Toggenburger Traditionen.

Ich sitze in meinem Kinderzimmer, fahre mit dem Finger entlang der Churfirsten und flüstere: «Chäserrugg, Hinterrugg, Schibeschtoll, Zueschtoll, Brisi, Frümsel, Selun», aus der Stube höre ich unseren Nachbarn und meinen Vater Schwyzerörgeli spielen und in der Nase habe ich den feinen Geruch von Schlorzifladen. Ich liebe das Toggenburg, denn das klingt für mich nach Heimat.
Lara Abderhalden
veröffentlicht: 27. Februar 2019 05:42
aktualisiert: 27. Februar 2019 05:42
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