Oh Tannenbaum, wie rot sind deine Blätter

Du grünst nicht nur zur Sommerzeit: Im Weihnachtslied gilt es als selbstverständlich, dass der Tannenbaum im Sommer grün ist. Dieses Jahr ist das anders. Die Wälder erscheinen nicht in sattem Grün, sondern rot, braun oder orange, wie es im Herbst üblich ist. Grund ist unter anderem die Trockenheit des letzten Sommers, sie lässt die gefrässigen Borkenkäfer gedeihen, die ganze Waldstücke vernichten.

Ein Stück Baumrinde liegt auf dem Wanderweg. Die Innnenseite ist feucht, Kerben schlängeln sich wie Passstrassen durch das Holz und hinterlassen eine dunkelbraune Linie. Würde ein Finger den Linien entlang fahren, stiesse er am Ende auf etwas Kleines, Rundes, Samtiges. Den Borkenkäfer. Das Insekt ist ungefähr so gross wie ein Loch in einem Gurt, braun, hat zwei Fühler wie eine Schnecke und dünne, blonde Haare auf dem Rücken. Überall wo sich der Käfer durch das Holz gefressen hat, hinterlässt er braunes Pulver. Es sieht aus, als hätte jemand eine Dose Schnupftabak über die Baumrinde gekippt.

Rinde, die vom Borkenkäfer befallen ist. (Bild: Lara Abderhalden)
© Rinde, die vom Borkenkäfer befallen ist. (Bild: Lara Abderhalden)

Fast schon schön, sieht ein von Borkenkäfern befallenes Holzstück aus. Für den Baum sind die kunstvollen Holzgänge aber der Vorbote des Todes. Es dauert nicht lange, bis ein befallener Baum dürr wird und sich wortwörtlich dem Borkenkäfer beugen muss.

Die Kranken

«Im Moment ist es sehr schlimm», Falten bilden sich zwischen den Augenbrauen von Heinz Engler. Er ist der Geschäftsführer des Waldwirtschaftsverbands Wald St.Gallen und Liechtenstein. Dieser Verband kümmert sich um alles, was mit den öffentlichen Wäldern im Kanton St.Gallen und im Fürstentum zu tun hat. Aktuell sind es keine guten Nachrichten, die der Geschäftsführer zu überbringen hat. Mit dem Zeigefinger deutet er auf ein Waldstück etwas oberhalb der Wasserfluhstrasse, die von Brunnadern nach Lichtensteig im Toggenburg führt.

Quelle: TVO

«Dieses Waldstück sollte eigentlich in sattem grün erstrahlen, stattdessen sieht es aus wie ein Mosaik mit braunen, roten und orangen Bäumen», sagt er. Es sehe aus wie im Herbst und dies Ende Juli. «Wir sehen hier ein Waldstück, dass durch die Hitzewelle im letzten Jahr geschwächt und deshalb stark vom Borkenkäfer befallen ist.» Die Borkenkäfer würden sich hauptsächlich schwache Bäume suchen. Es sei wie bei den Menschen. Menschen mit einem schwachen Immunsystem würden häufiger krank als andere.

«Die Bäume sind durch die letztjährige und anhaltende Trockenheit geschwächt und deshalb leichte Opfer für die Käfer», erklärt Engler. Nikolaus Fankhauser, Förster der Waldregion Toggenburg, ergänzt: «Vor allem sind Bäume betroffen, Weisstannen, von denen wir bisher angenommen haben, das sie alles überstehen und den Klimawandel gut ertragen. Es ist das erste Mal, dass Weisstannen derart vom Absterben betroffen sind. Es ist viel extremer als in vergangenen Jahren.» Sind Bäume erst einmal vom Borkenkäfer befallen, sterben sie ab.

Die Zerstörer

Rote, abgestorbene Bäume sind nicht nur im Toggenburg ein Problem: «Wir haben in der ganzen Region St.Gallen punktuell befallene Bäume», sagt Fankhuser und Heinz Engler bekräftigt: «Ich bin schon seit 20 Jahren im Geschäft und habe noch nie eine solch hohe Anzahl an Borkenkäfer und eine derartige Massenvermehrung gesehen.» Zu der Trockenheit waren es die vielen Stürme, die diese Vermehrung vorantrieben: «Die vielen Stürme, wie die Burglind, haben den Bäumen zusätzlich zugesetzt und sie sind deshalb leichtes Brutmaterial für Käfer.»

Und sind Borkenkäfer erst einmal da, lassen sie sich auch nicht mehr so einfach vertreiben: «Man kann Borkenkäfer tagelang im Gefrierfach lassen, die Viecher stehen wieder auf und verhalten sich, als wäre nichts geschehen.» An einem Baum sind übrigens jeweils um die 1500 Käfer.

Heinz Engler, Geschäftsführer des Waldwirtschaftsverbands hat noch nie so viele Borkenkäfer gesehen. (Bild: Lara Abderhalden)
© Heinz Engler, Geschäftsführer des Waldwirtschaftsverbands hat noch nie so viele Borkenkäfer gesehen. (Bild: Lara Abderhalden)

Die Beschützer

Ausgestorbene Bäume sind für den Wald an und für sich nicht weiter schlimm: «Für einen Wald ist ein abgestorbener Baum einfach ein abgestorbener Baum», gefährlich wird die Situation gemäss Heinz Engler dann, wenn Schutzwälder vom Aussterben bedroht sind. Schutzwälder bieten der Bevölkerung Schutz vor Naturgefahren wie Steinschlag. Sie halten die Steine auf, damit sie nicht bis zur Strasse oder zum Haus kommen.

Eine solche Schutzfunktion hat auch der Wald oberhalb der Wasserfluhstrasse im Toggenburg. Diese Schutzfunktion ist aber durch den Käferbefall stark gefährdet. «Wir sind gezwungen, die Bäume zu fällen. Damit sich der Borkenkäfer nicht weiter ausbreitet», sagt der Förster Nikolaus Fankhauser. Sobald die Käfer sich durch einen Baum gefressen und eine neue Population aufgebaut hätten, würden sie sich einen neuen Baum suchen. «Wir müssen die Bäume fällen, wenn die Käfer noch drin sind, damit sie keine neue Bäume angreifen können», sagt Fankhauser.

Borkenkäfer müssen bekämft werden, wenn sie noch im Baum sind, sagt Nikolaus Fankhauser, Förster der Waldregion Toggenburg. (Bild: Lara Abderhalden)
© Borkenkäfer müssen bekämft werden, wenn sie noch im Baum sind, sagt Nikolaus Fankhauser, Förster der Waldregion Toggenburg. (Bild: Lara Abderhalden)

Statt die Bäume wegzuschaffen würden sie im Fall Wasserfluh quer in den Hang gelegt, damit die Schutzfunktion weiterhin gegeben ist. Aktuell kann der Wald die Strasse und die Häuser noch genügend schützen, wie lange noch, kann der Förster allerdings nicht sagen. Dies hänge von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem dem Wetter.

Das Überangebot

Es sind aber nicht nur Schutzwälder, die unter dem Borkenkäfer leiden. Durch den Befall gibt es es plötzlich sehr viel Holz, das weiterverarbeitet werden muss. Holz, welches nicht zur Sicherung im Wald gebraucht wird, wird weggeschafft. Auch wenn das Holz vom Borkenkäfer befallen ist, kann es noch zum Bauen oder Anfeuern gebraucht werden. Das Problem ist nur, dass es zu wenige Unternehmen gibt, die das Holz weiterverarbeiten.

«Die Sägereien haben derzeit alle Betriebsferien und haben auch nicht die Kapazität, mehr Holz zu verarbeiten», sagt Engler. Werde das Käferholz nicht sofort verarbeitet, kann es sich blau verfärben und «viele Kunden wollen kein blaues Holz. Dann haben wir wieder das Problem, dass wir das Holz nicht verkaufen können.»

Durch den Borkenkäferbefall hat es derzeit ein Überangebot an Holz. (Bild: Lara Abderhalden)
© Durch den Borkenkäferbefall hat es derzeit ein Überangebot an Holz. (Bild: Lara Abderhalden)

Dieser Teufelskreis führt dazu, dass der Holzpreis aktuell sehr, sehr tief ist. «So tief wie seit 20 Jahren nicht mehr», wieder sind die Falten zwischen Englers Augenbrauen zu erkennen. Der Geschäftsführer des St.Galler Waldverbands ist sichtlich besorgt über die aktuelle Situation. Der Verband hofft, dass sich die Borkenkäfer-Situation bald verbessert und die Wälder wieder dichter werden. Als Alternative zieht der Verband eine Abgeltung für Waldbesitzer in Betracht: So würden sie wieder besser auf den Wald Acht geben und der Borkenkäfer-Befall könnte in Schach gehalten werden. Vor allem viele privaten Waldeigentümer würden sich nämlich derzeit wehren, Bäume zu fällen und so den Borkenkäfer zu bekämpfen, da es für sie nicht wirtschaftlich ist.

Die Brüchigen

Ein weiteres Problem, das sich direkt auf die Bevölkerung auswirkt, ist die Brüchigkeit befallener Bäume. «Es ist so, dass sich bei abgestorbenen Bäumen das Holz zersetzt und so Äste herunterkommen können», sagt Nikolaus Fankhauser. Dadurch könnte es in Wäldern natürlich für Wanderer oder Spaziergänger gefährlich werden. So schlimm wie in Basel, wo ein Wald komplett abgesperrt werden musste, ist die Situation in der Region St.Gallen aber noch nicht. Grundsätzlich gilt laut Heinz Engler: «Es ist wichtig, immer auf den Wegen zu bleiben und den Wald, wenn es windet, zu meiden.»

Auch der Borkenkäfer meidet die Öffentlichkeit. Die zappelnden, gurtlochgrossen, braunen Punkte sind auf der Holzrinde verschwunden. Zu sehen sind nur noch die dunkeln Linien, die vom Pulver umsäumt werden. So viel Leben, so viel Schutz, so viel Natur, die von einer einzigen Käferart innert kürzester Zeit zu Schnupftabak verarbeitet wird.

veröffentlicht: 30. Juli 2019 18:12
aktualisiert: 29. August 2019 09:06
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